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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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Außerirdischen, von denen ich las. Danach begegneten sie mir hin und wieder in meinen Träumen wieder. Aber das Buch war auch traurig, denn am Ende wird Cavor auf dem Mond ausgesetzt und bleibt in unaussprechlicher Einsamkeit und Verlassenheit unter den nichthumanoiden, insektenartigen Seleniten zurück.
    Nach meiner Zeit in Braefield wurde auch Der Krieg der Welten zu einem meiner Lieblingsbücher, nicht zuletzt, weil die marsianischen Kriegsmaschinen einen außerordentlich dichten, tiefschwarzen Dampf erzeugten («er sank nieder durch Luft und breitete sich in einer Weise über dem Boden aus, die eher an eine Flüssigkeit als an ein Gas denken ließ»). Dieser Dampf enthielt ein unbekanntes Element, das mit dem Gas Argon eine Verbindung eingegangen war - und ich wusste doch, Argon war ein Edelgas, das sich unter irdischen Bedingungen mit keinem anderen Element verband. [30]
    Ich fuhr begeistert Rad, besonders auf den Landstraßen, durch die kleinen Städte und Dörfer in Londons Umgebung. Nachdem ich den Krieg der Welten noch einmal gelesen hatte, beschloss ich, den Spuren des Marsvormarsches zu folgen, beginnend in Horsell Common, wo der erste Marszylinder gelandet war. Wells' Beschreibungen gewannen einen derartigen Wirklichkeitscharakter für mich, dass ich bei Ankunft in Woking überrascht war, es unversehrt vorzufinden - bedachte man die Verheerungen, die Hitzestrahlen der Marsleute dort im Jahr 1898 angerichtet hatten. Verblüfft betrachtete ich die Kirchturmspitze in dem kleinen Dorf Shepperton, denn für mich stand eigentlich als geschichtliche Tatsache fest, dass sie von einem Dreifuß der Marsleute heruntergeschlagen worden war. Das Naturhistorische Museum konnte ich nicht aufsuchen, ohne an «das wunderbare und fast unversehrte Exemplar eines Marsmannes in Spiritus» zu denken, das sich dort, wie Wells beteuert, befinden sollte. (Ich habe in der Kopffüßlergalerie danach gesucht, da ich mir die Marsbewohner alle eher oktopoid vorstellte.)
    Ähnlich erging es mir mit dem Naturhistorischen Museum selbst, durch dessen zerfallene, mit Spinnenweben bedeckte Gänge Wells' Zeitreisender im Jahr 800 000 n. Chr. unter freiem Himmel wandelte. Danach konnte ich nie wieder das Museum besuchen, ohne in seinem gegenwärtigen Erscheinungsbild den Schatten seiner heillosen Zukunft zu erblicken, wie die Erinnerung an einen bösen Traum. Auch das London, das ich als Fußgänger durchstreifte, verwandelte sich für mich in das mythisch verzauberte London der Wells'schen Kurzgeschichten, mit Orten und Plätzen, die nur in bestimmten Stimmungen oder Zuständen zu sehen waren - die Tür in der Mauer, der magische Laden.
    Als Junge konnte ich Wells' späteren, «sozialen» Romanen wenig Interesse abgewinnen, mir gefielen die frühen Erzählungen besser, die hellsichtigen Science-Fiction-Geschichten mit ihrem ausgeprägten, poetischen Sinn für die Gebrechlichkeit und Sterblichkeit des Menschen, etwa in «Der Unsichtbare», dessen Protagonist zunächst so hochmütig ist und dann so elend stirbt, oder der faustische Dr. Moreau, der am Ende von seinen eigenen Geschöpfen umgebracht wird.
    Doch in seinen Geschichten gibt es auch eine Vielzahl von gewöhnlichen Menschen, die außerordentliche visuelle Erfahrungen der verschiedensten Art haben: der kleine Ladeninhaber, dem ekstatische Visionen des Mars zuteil werden, als er in ein geheimnisvolles Kristallei blickt; oder der junge Mann, durch dessen Augen ein plötzlicher Blitz zuckt, als er in einem Gewitter zwischen die Pole eines Elektromagneten gerät, woraufhin es ihn visuell auf einen unbewohnten Felsen in der Nähe des Südpols verschlägt. Als Junge war ich süchtig nach Wells' Geschichten, seinen seltsamen Sagen (in vielen finde ich noch fünfzig Jahre später einen Widerhall des alten Zaubers). Die Tatsache, dass er 1946, nach dem Krieg, noch lebte und unter uns war, weckte in mir den brennenden, vermessenen Wunsch, ihn zu sehen. Da ich gehört hatte, daß er in einer kleinen Häuserzeile am Regent's Park wohnte, ging ich dort gelegentlich nach der Schule oder am Wochenende vorbei, in der Hoffnung, einen Blick auf den alten Mann werfen zu können.
KAPITEL DREIZEHN

MR. DALTONS RUNDE HOLZKLÖTZCHEN
    Die Experimente in meinem Labor brachten mir zu Bewusstsein, dass chemische Gemische etwas ganz anderes waren als chemische Verbindungen. Salz und Zucker etwa konnte ich in jedem beliebigen Verhältnis mischen. Auch Salz und Wasser ließen sich mischen - das Salz löste sich

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