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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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auf, dann konnte man das Wasser verdunsten und erhielt wieder das ursprüngliche Salz. Auch aus einer Messinglegierung konnte man den Kupfer- und Zinkanteil unverändert isolieren. Fiel mir eine Zahnplombe heraus, war ich in der Lage, ihr Quecksilber durch Destillation ganz rein zu isolieren. Alle diese Lösungen, Legierungen, Amalgame waren Gemische. Gemische behielten im Wesentlichen die Eigenschaften ihrer Bestandteile (neben vielleicht ein oder zwei «Sondereigenschaften» - der relativen Härte von Messing beispielsweise oder dem niedrigeren Gefrierpunkt von Salzwasser). Dagegen zeigten Verbindungen grundsätzlich neue Eigenschaften.
    Im 18. Jahrhundert setzten die meisten Chemiker stillschweigend voraus, dass Verbindungen fest stehende Zusammensetzungen hatten und sich ihre Elemente in exakten, unveränderlichen Proportionen zusammenfanden - anders hätte sich die praktische Chemie kaum betreiben lassen. Doch das Problem wurde nie richtig untersucht oder erörtert, bis Joseph-Louis Proust, ein französischer Chemiker, der in Spanien arbeitete, in einer Reihe sorgfältiger Analysen verschiedene Oxide und Sulfide aus aller Welt miteinander verglich. Schon bald gelangte er zu der Überzeugung, dass alle echten chemischen Verbindungen tatsächlich in unveränderlichen Zusammensetzungen aufträten - und zwar unabhängig davon, wie die Verbindung zustande gekommen und wo sie gefunden worden sei. Rotes Quecksilber(II)-Sulfid hatte beispielsweise immer die gleichen Anteile von Quecksilber und Schwefel, egal, ob es im Labor hergestellt oder als Mineral gefunden wurde. [31]
    Von Pol zu Pol, schrieb Proust, sind Verbindungen identisch in ihrer Zusammensetzung. Ihr Erscheinungsbild mag mit ihrer Aggregationsweise variieren, ihre Eigenschaft nie… Der Zinnober aus Japan hat die gleiche Zusammensetzung wie der Zinnober aus Spanien; Silberchlorid ist vollkommen gleich, ob es aus Peru oder aus Sibirien stammt. In der ganzen Welt gibt es nur ein Natriumchlorid, einen Salpeter, ein Kalziumsulfat und ein Bariumsulfat. Die Analyse bestätigt diese Fakten in jeder Hinsicht.
    1799 hat Proust seine Theorie zu einem Gesetz verallgemeinert - dem Gesetz der konstanten Proportionen. Prousts Analysen und sein geheimnisvolles Gesetz erregten die Aufmerksamkeit der Chemiker in aller Welt, auch in England, wo sie das Denken von John Dalton, einem bescheidenen Quäker und Schullehrer in Manchester, tief beeinflussten.
    Dalton, ein begabter Mathematiker, der sich schon früh für Newton und dessen «Korpuskularphilosophie» begeisterte, hatte versucht, die physikalischen Eigenschaften von Gasen - die Drücke, die sie ausüben, ihre Diffusion und Lösung - im Rahmen einer korpuskularen oder «atomaren»Theorie zu verstehen. Er sprach bereits von «letzten Teilchen» und ihren Gewichten, wenn auch in einem rein physikalischen Kontext, da hörte er zum ersten Mal von Prousts Arbeit und hatte wie in einer plötzlichen Offenbarung die Erkenntnis, dass diese «letzten», fundamentalen Teilchen das Proust'sche Gesetz, ja, die ganze Chemie erklären könnten.
    Für Newton und Boyle gab es zwar verschiedene Formen der Materie, doch die Korpuskeln oder Atome, aus denen sie die Materie aufgebaut wähnten, hielten sie für vollkommen identisch. Für sie gab es daher immer die alchemistische Möglichkeit, ein unedles Metall in Gold zu verwandeln, weil dies nur eine formale Veränderung, eine Verwandlung des immer gleichen, fundamentalen Stoffes wäre. [32] Doch dank Lavoisier war jetzt der Begriff der Elemente klar, und für Dalton gab es so viele Arten von Atomen wie Elemente. Jedes hatte ein unveränderliches und charakteristisches «Atomgewicht», und dies bestimmte auch die relativen Anteile, in denen es sich mit anderen Elementen verband: Wenn es immer 23 Gramm Natrium und 35,5 Gramm Chlor waren, so lag das eben daran, dass Natrium und Chlor die Atomgewichte 23 und 35,5 aufwiesen. (Diese Atomgewichte waren natürlich nicht die tatsächlichen Gewichte der Atome, sondern nur relative zu einem Maßstab - etwa dem eines Wasserstoffatoms.)
    Als ich von Dalton und den Atomen las, geriet ich in eine Art Verzückung. Ich war fasziniert von dem Gedanken, dass die rätselhaften Proportionalitäten und Zahlen, die ich auf der großen Skala meiner Laborwaage sah, möglicherweise das Abbild einer unsichtbaren, unendlich kleinen inneren Welt von Atomen wiedergaben, die tanzten, sich berührten, anzogen und verbanden. Ich gebrauchte meine Vorstellungskraft als

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