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Onkel Wolfram - Erinnerungen

Onkel Wolfram - Erinnerungen

Titel: Onkel Wolfram - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Sacks
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selbst, von denen mittlerweile schon rund sechzig bekannt waren, gab es noch keine derartige Klassifizierung. Einige Elemente schienen sich jeder Kategorisierung zu entziehen. Wohin gehörte das Uran oder dieses merkwürdige, extrem leichte Metall, das den Namen Beryllium trug? Einige der erst kurz zuvor entdeckten Elemente erwiesen sich dabei als besonders schwierig - Thallium beispielsweise, 1862 entdeckt, war in mancherlei Hinsicht dem Blei ähnlich, in anderer dem Silber, dem Aluminium und auch dem Kalium.
    Nachdem Mendelejews Interesse an einer Klassifizierung der Elemente erwacht war, vergingen noch fast zwanzig Jahre, bis er 1869 sein Periodensystem vorlegte. Dieser langen Vorbereitungs- und Inkubationszeit (eine gewisse Parallele zu Darwin, bevor er Über die Entstehung der Arten veröffentlichte) ist es wohl zu verdanken, dass Mendelejew, als er seine Principles schließlich veröffentlichte, aus einer Fülle von Wissen und Einsichten schöpfen konnte, die weit über die seiner Zeitgenossen hinausging - einige hatten zwar eine klare Vorstellung von der Periodizität der Elemente, doch niemand verfügte über sein beispielloses Detailwissen.
    Mendelejew schilderte, wie er die Eigenschaften und Atomgewichte der Elemente auf Karten schrieb, über ihnen brütete, sie hin und her schob und auf seinen langen Zugreisen durch Russland eine Art Patience oder (wie er es nannte) «chemisches Solitaire» spielte, um eine Ordnung zu finden, ein System, das die Elemente, ihre Eigenschaften und Atomgewichte in einen sinnvollen Zusammenhang brachte.
    Es gab noch einen anderen entscheidenden Faktor. Jahrzehntelang hatte beträchtliche Verwirrung in Bezug auf die Atomgewichte vieler Elemente geherrscht. Erst als diese Frage auf der Karlsruher Konferenz von 1860 geklärt worden war, konnten Mendelejew und andere an eine vollständige Taxonomie der Elemente denken. Mendelejew war mit Borodin nach Karlsruhe gereist (nicht nur eine chemische, sondern auch eine musikalische Reise, denn sie machten unterwegs an vielen Kirchen Halt, um dort die Orgeln auszuprobieren). Mit den alten Atomgewichten, die vor Karlsruhe galten, konnte man lokale Triaden oder Gruppen bestimmen, aber man konnte nicht erkennen, dass es auch eine numerische Beziehung zwischen den Gruppen gab. [42] Erst als Cannizzaro nachwies, wie zuverlässig man die Atomgewichte ermitteln konnte, und beispielsweise zeigte, dass die richtigen Atomgewichte für die Erdalkalimetalle (Kalzium, Strontium und Barium) 40, 88 und 137 sind (nicht 20, 44 und 68, wie man glaubte), wurde klar, wie ähnlich sie denen der Alkalimetalle -Kalium, Rubidium und Zäsium - sind. Diese Ähnlichkeit und die Ähnlichkeit mit den Atomgewichten der Halogene - Chlor, Brom und Jod - veranlassten Mendelejew 1868, eine kleine Tabelle zu entwerfen, in der die drei Gruppen nebeneinander gestellt waren:
     
Cl 35,5
K 39
Ca 40
Br 80
Rb 85
Sr 88
I 127
Cs 133
Ba 137
     
    Als an diesem Punkt erkennbar wurde, dass die Anordnung der drei Gruppen von Elementen nach dem Atomgewicht zu einem repetitiven Muster führte - ein Halogen gefolgt von einem Alkalimetall, gefolgt von einem Erdalkalimetall -, gewann Mendelejew die Überzeugung, es müsse sich um das Bruchstück eines größeren Musters handeln. Das brachte ihn auf den entscheidenden Einfall: Es gab eine Periodiziät, die für alle Elemente galt - ein periodisches Gesetz.
    Mendelejews erste kleine Tabelle musste ergänzt werden und expandierte dann in alle Richtungen, als würde ein Kreuzworträtsel ausgefüllt. Das allein setzte schon einige kühne Annahmen voraus. Welches Element, so fragte er sich, war chemisch verwandt mit den Erdalkalimetallen, folgte aber dem Lithium im Atomgewicht? Augenscheinlich existierte kein solches Element - oder war es möglicherweise Beryllium, das gewöhnlich als dreiwertig galt, mit einem Atomgewicht von 14,5? Und wenn es nun stattdessen zweiwertig war, dafür aber ein Atomgewicht von 9 und nicht 14,5 hatte? Dann würde es dem Lithium folgen und hervorragend in die Leerstelle passen.
    Zwischen bewusster Berechnung und Ahnung, Intuition und Analyse verfahrend, gelang es Mendelejew innerhalb weniger Wochen, rund dreißig Elemente nach steigendem Atomgewicht in einer Tabelle einzuordnen, einer Tabelle, die nun darauf schließen ließ, dass sich die chemischen Eigenschaften bei jedem achten Element wiederholten. Und am Abend des 16. Februar, so heißt es, hatte er einen Traum, in dem er fast alle bekannten Elemente in einer

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