Online Wartet Der Tod
wo Enoch auf FirstDate zugegriffen hatte. Alle Bedienungen hatten ausgesagt, sie sähen immer wieder Kunden die FirstDate-Seite aufrufen, aber das sei mittlerweile so verbreitet, dass sie nicht weiter darauf achteten, geschweige denn, sich einzelne Kunden merkten. Also las Ellie, solange ihnen nichts Besseres einfiel, im Buch des Enoch, und Flann ging noch einmal Caroline Hunters Notizen durch, um dort nach einer Verbindung zu Enoch zu suchen.
»Derzeit ist meine Theorie, dass aus seiner Sicht in diesem Buch eine Art Weisheit steckt. Im Hauptteil geht es um die sogenannten Wächter, Engel der höchsten Rangordnung. Die haben, als sie zur Erde gesandt wurden – ursprünglich, um über die Sterblichen zu wachen –, ein Auge auf die Menschenfrauen geworfen und sich am Ende mit ihnen vereinigt. Enoch hat versucht, sich bei Gott für sie einzusetzen, aber vergebens. Gott hat die Sintflut geschickt, um die Wächter zu bestrafen – sie sollten mit ansehen, wie die Brut, die sie mit den Sterblichen gezeugt hatten, zugrunde ging.«
»Ich verstehe, was Sie mit ›Weisheit‹ meinen …«
» Aus seiner Sicht, wie gesagt. Weisheit, Klugheit. Vielleicht will er sich zum Thema Urteil und Strafe äußern … oder zu den Gefahren des Begehrens und der Lust. Er ist der gefallene Engel, der sich nach den Frauen von FirstDate verzehrt.«
»Und was bringt uns dieses Wissen?«
»Nichts. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass er uns nicht auf das Buch des Enoch gebracht hat, um uns einen schlauen Hinweis auf seine Motive zu liefern, sondern weil wir darin tatsächlich das Muster des Spiels finden können. In einem anderen Teil des Buches befasst Enoch sich mit den Mysterien von Astronomie und Kalender; später hat er Visionen, die angeblich eins der bedeutendsten Ereignisse in der Bibel ankündigen. Es gibt Leute, die halten das Ganze für eine Art Puzzle – dass man den Kalender zu Enochs Mondkalender in Beziehung setzen und auf diese Weise wichtige Daten im Leben von Jesus festlegen kann.«
»Könnte das Jahr zwischen Hunter und Davis eine Anspielung darauf sein?«
»Ich dachte, Sie hätten mich für verrückt erklärt, weil ich dieses Buch lese.«
»Sie vergessen, dass Sie mit McIl-Mulder reden. Ich halte gar nichts für verrückt.«
»Ich muss immer an etwas denken, das mein Vater gesagt hat: Finde das Motiv, und es wird dich zum Täter führen. «
»Kein schlechter Leitsatz.«
»Mein Problem ist, dass ich den Weg vom Motiv zum Täter nicht erkenne. Mein Vater ging davon aus, dass das Motiv bei seinem Fall sexueller Natur war, deshalb hat er viel Zeit im Rotlichtbezirk zugebracht und immer wieder auf Anrufe von Spannern reagiert. Und bei Ihrem Fall mit der Psychiaterin vergangenes Jahr …«
»Da musste man erst mal drauf kommen, dass der Täter von der Zahl acht besessen war.«
»Und sobald Sie das wussten, haben Sie die Obdachlosenunterkünfte der Gegend abgeklappert und nach dem passenden Verrückten gesucht. Wenn unser Mann aber meint, er folgt einem Muster, das irgendwie mit dem Buch des Enoch zu tun hat, weiß ich nicht, wie wir von da zum Täter kommen sollen. Hier ist von zwölf Winden die Rede, von vier Teilen der Welt, sieben Flüssen, dem Mond, der Sonne – keine Ahnung, wie man aus all dem zutage fördern soll, an welchem Tag der nächste Mord begangen wird oder wer das nächste Opfer ist oder was auch immer er aus dem Buch ableitet.«
»Dann hören Sie auf, vorhersagen zu wollen, was der Täter als Nächstes tun wird. Sie vergessen, dass ich in dem Fall mit der acht das getan habe, was am naheliegendsten war. Wenn Sie meinen, dass Sie herausgefunden haben, was den Täter antreibt, dann nutzen Sie dieses Wissen, um die Hinweise zu entschlüsseln, die Sie bereits haben – die nämlich, die sich aus den bereits begangenen Taten ablesen lassen.«
»Wenn das Buch des Enoch tatsächlich so etwas wie ein Schlüssel zu seinen Motiven ist, dann muss er ein Exemplar davon besitzen. Ich habe meins übers Internet bestellt. Wäre interessant zu wissen, wo er seins gekauft hat.«
»Na, das klingt doch nach einer konkreten Aufgabe.«
Peter Morse schlürfte seinen Kaffee – zu heiß –, während er sich mit Wohlgefallen die Morgenausgabe der Daily Post ansah. Großformatige Fotos von Amy Davis und Megan Quinn zierten die Titelseite. Davis hatte schulterlanges, welliges braunes Haar, helle Haut und dunkle Lippen. Megans Haar war kürzer und gelockt. Sie war rundlich, aber hübsch, mit Sommersprossen
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