Online Wartet Der Tod
es zwei Enochs, beide stammen von Adam ab. Einer ist der Sohn von Kain, und dann gibt es noch einen, auch Enosch geschrieben, auf den das sogenannte Buch des Enoch zurückgeht. Es heißt in der Bibel, dieser Enoch habe fünfundsechzig Jahre gelebt – und dann noch einmal dreihundert bei Gott. Ich glaube, dem Stammbaum nach war er ein Vorfahr von Noah, der mit der Arche.«
»Von dem habe ich schon mal gehört.«
»Das gibt’s doch nicht: Die allgemein anerkannte Übersetzung des Buchs des Enoch stammt von einem R. H. Charles. Das Schwein hat den gefälschten Ausweis von einem Richard Hamline benutzt, um seinen FirstDate-Account einzurichten – R. H.«
»Da kann doch unmöglich jemand drauf kommen«, sagte Jess.
»Nein. Es ist einfach ein weiteres Element in seinem Verwirrspiel.« Sie las weiter und schüttelte ungläubig den Kopf. »Im Buch des Enoch geht es um gefallene Engel, die Wächter genannt werden und sich mit sterblichen Frauen zusammengetan haben.«
»Klingt nach der Szene, in der ich mich bewege.«
»So ein krudes Zeug. Ich nehme an, die meisten Vertreter der etablierten Religionen würden sagen, das Buch wird fälschlicherweise Enoch zugeschrieben, aber ich weiß nicht – manche scheinen es auch für eine göttliche Eingebung zu halten. Die sehen darin eine Art Apokalypse.«
Während Ellie sich von einer Webseite zur anderen vorarbeitete – alle äußerst amateurhaft gestaltet und darauf ausgerichtet, den vermeintlich verlorenen Bibeltext zu analysieren –, machte sie sich heftige Vorwürfe, weil sie nicht schon viel früher in diese Richtung recherchiert hatte. Hätte sie diese Sachen früher gelesen, hätte sie von Anfang an viel mehr auf Enoch geachtet.
»Versprich mir, dass du nicht die ganze Nacht so weitermachst«, sagte Jess, der einen Pullover und darüber seinen Mantel anzog.
»Wo gehst du hin?«, fragte Ellie.
»Arbeiten.«
»Wo spielt ihr denn?«
»Ich spiele nicht. Oder jedenfalls nicht so wie sonst. Ich habe den Job im ›Vibrations‹ gekriegt.« Er grinste.
»Du machst Witze.«
»Du bist doch diejenige, die mir immer einredet, ich bräuchte einen richtigen Job. Die haben Arbeitszeiten, mit denen ich umgehen kann. Sie zahlen anständig. Und die Aussicht ist auch nicht schlecht. Heute mache ich die erste volle Schicht.«
»Ach, Scheiße, so spät ist es schon. Ich habe wieder vergessen, Mom anzurufen.«
»Hab ich mir gedacht«, sagte Jess. »Keine Sorge – ich hab sie angerufen. Mir war klar, dass du alle Hände voll zu tun hast und dir später Vorwürfe machen wirst. Und – nein, ich habe kein Sterbenswort von deinem Fall gesagt. Ich habe ihr erzählt, du wärst verabredet.«
»Alle Achtung, Jess Hatcher. Du hast unsere Mutter angerufen. Ganz von allein.« Für mich, dachte sie und wunderte sich, wie sehr sie das rührte.
»He, ich muss mich beeilen. Mein Traumjob wartet. Ach, und Ellie: Schließ die Tür hinter mir ab. Mach keinem auf. Sprich nicht mit Fremden. Lass die Jalousien zu. Die Waffe gleich neben das Bett. Zur Sicherheit den Poloschläger gleich noch dazu.«
Sie warf ein Kissen nach ihm. »Weil ich auch so viele Schläger hier rumliegen habe. Mir geht’s gut, du. Und jetzt raus hier!«
Noch als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hörte sie ihn Sicherheitshinweise vor sich hin murmeln. Eine Stunde später – sie surfte nach wie vor im Netz und suchte nach Informationen über das Buch des Enoch – fielen ihr ständig die Augen zu. Sie schaute ein letztes Mal in das FirstDate-Profil von Enoch. »Aktiv in den letzten 48 Stunden«, meldete die Seite. Er hatte sich an diesem Tag nicht eingeloggt. Mark Stern hatte zugesichert, dass er sie informieren werde, sobald Enoch seinen Account öffnete, aber Ellie wusste, dass er zu klug war, um sich einzuloggen – jedenfalls würde er es nicht als Enoch tun.
Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen kurzen Blick auf das Profil von Peter Morse zu werfen. »Aktiv in den letzten 48 Stunden.« Auch er hatte sich nicht eingeloggt. Sie fragte sich, ob das etwas über ihre gemeinsame Nacht aussagte. Während sie sein Bild anstarrte, dachte sie darüber nach, dass ihn jederzeit eine andere Frau schnappen konnte. Da konnte eine kommen, die keinen selbst auferlegten Regeln folgte, und den Mann kriegen, der vielleicht ihr nächster Freund hätte werden können.
Sie wechselte von der FirstDate-Seite zu der von Barnes and Noble’s, wo innerhalb Manhattans ein Vierundzwanzig-Stunden-Lieferservice angeboten
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