Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Online Wartet Der Tod

Titel: Online Wartet Der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alafair Burke
Vom Netzwerk:
entfernt, war er zu hören gewesen. Sie sah, wie er seinen Oberkörper von der Glastür weg lehnte. Es war ihr unmöglich, sich zu rühren, und auch er erstarrte. Er wartete drei Herzschläge lang, dann beugte er sich wieder vor und spähte in die Kabine. Sie hielt die Luft an und sagte sich hoffnungsvoll, dass Flann, sollte Becker ihn tatsächlich entdecken, sich schon herausreden würde.
    Es ging so schnell, dass sie später beim besten Willen nicht rekapitulieren konnte, was Flann gesagt hatte. Sein ganzer Körper vollzog eine Drehung nach rechts, bis er direkt vor dem Kabineneingang stand. Dann schrie er auf. Wie in einer Endlosschleife spielte sie das Video in ihrem Kopf wieder und wieder ab, aber der Ton fehlte. Laut war der Ruf gewesen. Eindringlich. Ängstlich. Knapp. Vielleicht: »Nein!«
    Als Flann die Kabinentüren aufschob, setzte auch Ellie sich in Bewegung, rappelte sich aus ihrer Krabbelhaltung hoch und rannte los. Gleichzeitig zog sie ihre Waffe. Drehen und hoch, dann war die Glock bereit. Jetzt wollte sie nicht mehr möglichst leise sein, sondern schnell. Sie sprang vom Steg auf das Heck des Bootes, aber das Geräusch, das sie hörte, als sie aufkam, war ein anderes, als sie erwartet hatte. Das waren nicht ihre Schuhe auf dem Heck. Es war ein Knall, und zwei weitere folgten. Drei Schüsse.
    Sie stürmte ins Innere und fand sich allein in einer Schlafkabine. Etwas vorsichtiger bewegte sie sich auf die nächste Tür zu und schob sie, die Luft anhaltend, langsam auf. Auf einer Couch zur Linken war Ed Becker zusammengebrochen. Der untere Teil seines Gesichts fehlte, statt seiner klaffte dort eine rote Öffnung aus Haut und Knochen. Rechter Hand saß Flann auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt und die Beine von sich gestreckt. Links oberhalb des Hemdkragens hatte er ein dunkelrotes Loch im Hals. Auf der rechten Seite seines Hemds entfaltete sich eine rote Blume.
    Es waren eins, zwei, drei Schüsse gewesen. Alle ihre Sinne waren in Alarmbereitschaft. Während sie noch versuchte zu verstehen, was sie sah, nahm sie erneut Geräusche wahr. Vor sich, dann hinter sich. Hastige Schritte rechts auf dem Deck, an der Kabine entlang und dann weg. Später versuchten die Vorgesetzten, ihr einzureden, dass sie hätte nachsehen müssen – dass sie, wenn sie die beschriebenen Geräusche tatsächlich gehört hätte, ganz instinktiv hinterhergelaufen wäre, raus aus der Kabine, den Steg entlang, immer dem auf den Fersen, der die Geräusche verursacht hatte, wer auch immer es gewesen sein mochte. In dem Moment aber konnte sie an nichts anderes denken als an das Loch in Flanns Hals, die Wunde in seinem Bauch, das viele Blut, das auf schwere innere Verletzungen schließen ließ.
    Sie ging instinktiv nicht den Geräuschen nach. Stattdessen kniete sie sich neben Flann, zog ihren Mantel aus, presste ihn gegen seinen Bauch und hielt Flann im Arm, während sie ihr Handy hervorholte und 911 wählte. Sie schrie den Mann in der Zentrale an: »10 – 13, Officer mit Schussverletzung, Marina auf City Island, vierte Stegreihe in östlicher Richtung. 10 – 13. Es wurde auf ihn geschossen. Beeilen Sie sich! Bitte!« Und Flann schrie sie auch an. Sie hielt ihn und wiegte ihn und flehte ihn an, nicht zu sterben.
     

Vierter Teil
     
    Habgier, Eifersucht, Begehren, Rache

35
    Am Morgen des vierten Tages danach stellte Ellie sich ihrem Spiegelbild. Sie verteilte immer mehr Abdeckcreme unter den verquollenen Augen, aber nichts vermochte die Ringe zu kaschieren, die von Tag zu Tag dunkler geworden waren, seit Flann auf Ed Beckers Boot in ihren Armen gestorben war. Langsam zog sie eine Bürste durchs Haar und wusste doch, dass ihr Äußeres für das, worum es bei dem bevorstehenden Treffen ging, überhaupt keine Rolle spielte.
    Jess war zeitig aufgestanden, um von dem Deli unten an der Ecke Kaffee und Sandwiches zu holen. Als sie die Brote sah, winkte sie ab, aber er beharrte darauf, dass sie sich besser fühlen würde, wenn sie sich wenigstens ein bisschen Energie zuführte, bevor sie zur Arbeit ging. Sie würde das Dreizehnte Revier zum ersten Mal wieder betreten. Wie das Protokoll es bei Gewaltverbrechen gegen Polizisten vorschrieb, war sie in jener Nacht von City Island zum Revier gebracht worden, wo bereits ein eigens herbeigerufener Vertreter der Polizeigewerkschaft auf sie wartete. Mit diesem Fremden an ihrer Seite hatte sie in einem Verhörraum drei Stunden lang Lieutenant Daniel Eckels und zwei Detectives der

Weitere Kostenlose Bücher