Online Wartet Der Tod
zu spät, um auf das Angebot mit dem Drink zurückzukommen?«
»Nein. Perfektes Timing. Ich bin gerade mit der Arbeit fertig. Wo möchtest du hingehen?«
»Wie wär’s, wenn ich in deine Ecke komme?« Sie konnte es nun wirklich nicht gebrauchen, dass später jemand wie Taylor Gottman in ihrer Gegend herumstreunte und ihr auflauerte.
»Bei mir um die Ecke gibt es einen Laden, der heißt ›Delta-Grill‹.« Er nannte die Adresse, aber Ellie sagte, sie wisse, wo das sei. »Macht es dir etwas aus, nach Hell’s Kitchen zu kommen?«
»Nö. Ich bin gern da«, sagte Ellie.
»Sehr gut. Viele finden es nämlich abschreckend.«
»Dann solltest du es auch lieber Clinton nennen.« Das Viertel, in dem einst die eher raue untere Mittelschicht Manhattans beheimatet gewesen war, hatte genau wie der ganze Stadtteil das durchgemacht, was die Immobilienmakler einen »Wandel« nannten. Neben einem Haufen gut gestellter Anwohner, die es nicht ganz bis auf die ersehnte andere Seite des Lincoln Center geschafft hatten, war dem Viertel auch ein neuer, Sicherheit suggerierender Name zuteilgeworden.
»Die Leute, die hier wohnen, nennen es Hell’s Kitchen. Wie lange brauchst du bis hierher?«
Ellie prüfte kurz, was sie für den Arbeitstag angezogen hatte – roter Rollkragenpullover, grauer Bleistiftrock und schwarze kniehohe Lederstiefel –, und entschied, dass sie so gehen konnte. »Wäre ich in einer halben Stunde zu früh da?«
»Eine halbe Stunde ist goldrichtig. Ich bin der Mann in dem dunkelroten Samtjackett mit der heftigen Akne.«
»Okay. Ich habe meine Motorrad-Lederkluft an. Falls du mich trotzdem nicht erkennst: Ich trage heute die rosa Kette, und zwar von der Nase zum Ohr.«
»Du magst Hell’s Kitchen. Du kannst spontan auf einen Drink vorbeikommen. Du schreckst nicht vor einem Mann zurück, der ein bisschen spinnt. Du bist wirklich cool, Ally.«
Megan Quinn war allein in ihrer Wohnung, als der Doorman anklingelte. Zehn, neun, acht, sieben … Sie kreuzte die gestreckten Beine in der Luft und passte sich dem Atemrhythmus der gelenkigen Pilates-Trainerin auf der DVD an. Sechs, fünf, vier, drei … Wieder meldete sich die Klingel. Zwei, eins.
Sie holte tief Luft und zog die Knie in Richtung Bauch. Dann drückte sie den Pausenknopf der Fernbedienung, wischte sich eine Schweißperle von der Stirn, stemmte sich von der blauen Matte hoch, die sie auf dem Wohnzimmerboden ausgerollt hatte, und eilte zur Gegensprechanlage. »Hallo?«
»Lieferung.«
»Ich habe nichts bestellt, Lewis.«
»Er hat gesagt, 32 M.«
»N. Wahrscheinlich hat er N gesagt, Lewis, wie Nicht M. Wie Nie für Megan, immer für den Nachbarn.« Der Mann gegenüber bestellte sich fast jeden Abend etwas zu essen, und zwar bei immer neuen Lieferanten. Und fast jeden zweiten Abend rief der Doorman fälschlicherweise sie an, um sie darauf vorzubereiten.
»Heute ist es kein Essen. Es sind Blumen.«
»Dann ist es ganz bestimmt nicht für mich.«
»Tut mir leid.«
»Kein Problem.«
Megan hängte den Hörer zurück und sah in den Spiegel, der neben der Gegensprechanlage befestigt war. Sie presste die Handflächen gegen ihre vollen Wangen, bis sich um Lippen und Nase das Fett zusammenschob. Dabei fragte sie sich, wann und wie sie zu diesem Fett gekommen war und wie lange es dauern würde, bis sie es wieder loswurde. Es hatte eine Zeit gegeben, da war sie dünn gewesen. Selbstbewusst. Sie saugte die Wangen nach innen und zog die leicht gefurchte Haut über ihrer Stirn glatt, und so sah sie für einen Moment aus wie das junge Mädchen, das in Colorado vom Festwagen gewinkt hatte, während ihr Freund eine Comedy-Version von Mandy sang, in der Oh, Mandy durch Oh, Megan ersetzt wurde. In letzter Zeit schämte sie sich derart für ihr Aussehen, dass sie sich regelrecht davor fürchtete, einen Mann zu treffen, der möglicherweise der Richtige war. Er konnte sie als zu dick zurückweisen, und dann hatte sie ihre Chance verpasst.
Sie wandte sich vom Spiegel ab und sagte sich, dass die Tage ihres Selbsthasses endlich gezählt waren. Sie war jetzt bei den Weight Watchers. Sie machte Pilates. Sie fühlte sich von Tag zu Tag besser. Sie hatte sich sogar gezwungen, in der Mittagspause shoppen zu gehen und ein paar Sachen für den Übergang zu kaufen, weil die alten ihr schon langsam zu weit wurden. Kleine Schritte. Noch drei Monate, und sie würde ihr Wunschgewicht erreicht haben. Dann würde sie sich komplett neu einkleiden.
Gerade als sie sich wieder auf
Weitere Kostenlose Bücher