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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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als handelte es sich um die fliegenden Ohren eines Staffordshire Bullterriers.
    Zwei Sekunden, bis es krachte. Ein Krachen bis aufs Fleisch so roh, daß die umstehenden Zeugen zu Salzsäulen gerannen. (Der Hagelguß von Verbundglas-Splittern würde erst später Gänsehaut auslösen, später, wenn alle jene Zeugen ihren Liebsten von dem Ereignis erzählten.) Die finstere Schnauze des Stiers war in den After eines playmobilroten Fiat Chihuahua eingeschlagen. Ein wenig versetzt, so daß der Kleinwagen mit kreischenden Reifen über den Zebrastreifen schleuderte, zwischendrin hüpfend wie jeck. Er rollte weiter und bremste erst dann abrupt ab, etliche Fahrzeuglängen entfernt von jenem Überweg, den Onno gerade eben passiert hatte.
    Vielleicht hatte Onno wahrgenommen, wie der Fiat-Fahrer dummiemäßig im Airbag verschwand. Wie sein Fahrzeug eine Radkappe abwarf, und wie die dann mit einem unwirklich billigen Geräusch an Onnos Füßen vorbeitrudelte.
    Und noch während sie die Rollstuhlrampe in Richtung Alsterpier hinunterrollte, stieg der Fahrer des Lamborghini aus. Ein fremdartiges Wesen. Ein ultimatives Es. »Kunterbunter Riese«, wie Augenzeugin Annemieke L. (7) laut HEZ gesagt haben soll. »Digger!« rief er kehlig, indes er sich um die zerstülpte, fetzenstarrende Motorhaube herumschlängelte, doch trotz tänzerischer Leichtigkeit an einem hervorstechenden Kohlefaserspliß die rechte Gesäßbacke aufschlitzte. »Warte mal, Digger!«
    Allein das Wetter Wahnsinn.
    Es war so heiß, daß Wasserleichen Schluckauf kriegten.
    [46]
    Das weitere konnte ich – aufgeschreckt durch das Krachen des Unfalls – mit eigenen Augen durch die Fenster meines Büros beobachten.
    Meine Knie fühlten sich an wie Knollen aus Kautschuk, als ich da stand und, insbesondere anhand seiner beigefarbenen Baskenmütze, verfolgte, wie Onno die Spur der Radkappe aufnahm. Es sah aus, als watete er durch Sumpf. Auf lahme Weise eilig. Er watschelte. Höchstwahrscheinlich fühlten sich seine Knie noch schlimmer an als meine, und hätte er bei der Hitze zu rennen begonnen, wäre er womöglich kollabiert. Anstatt den Jungfernstieg hinauf zu flüchten, watete er also die Rollstuhlrampe hinab – aufs Niveau des Alsterkais. (Wahrscheinlich, so reimte ich mir später zusammen, gehört Hakenschlagen zum Instinktrepertoire, und zudem dürfte er zu spät bemerkt haben, daß der weitere Fluchtweg in Richtung Gänsemarkt und Neuem Jungfernstieg auf Kaiebene hinter dem zweistöckigen Glaskubus, in dem ein Reisebüro und ein Café residierten, von einem Bauzaun komplett versperrt war.)
    Mit einem Abstand von zunächst nur wenigen Metern folgte ihm der Goliath, muskelbepackt, splitternackt, überaus farbig, stetig blutend. Lässigen Schrittes. Nicht ganz und gar tangolike – vielleicht irritierte ihn denn doch das am Bein herabrinnende Blut –, doch allemal souverän. Rechts liegen lassend den Basaltblock der Alster Schiffahrtsges. mbH, links das Kassenhäuschen aus Saunabrettern (vor dem eine Touristenhydra stand, die ihre Köpfe nach dem Satan ausrichtete). Vorbei an einer Skulptur des Hamburger Wasserträgers – Hans Hummel, neben Zitronenjette die historische Symbolfigur der Hansestadt. Vorbei an Ge- und Verbotsschildern …

    Es wäre dem Hünen ein leichtes gewesen, Onno einzuholen und zu stellen. Doch die Verfolgungsjagd verlief mit Gletschergeschwindigkeit. Wozu unwürdige Hektik? Onnos einziger Ausweg war der Pier. Und schwimmen konnte Onno, wie der andere wußte, nicht. Geschweige schneller als er selbst, der reptilienhafte Dämon. Allerdings … es lag ja, locker vertäut, ein Dampfer aus der Weißen Flotte am Ende des Piers. Die Saselbek . Doch rannte ein Höllenfürst, der etwas auf sich hielt, einer Seele hinterher?
    »Ottooo!« wiederholte der Hüne, jenem Ohrenzeugen zufolge, der sich ihm auf dem Rückweg in den Weg stellen würde. »Nun bleib mal stehn! Du glaubst doch nicht …« Was auch immer Onno geglaubt haben mochte – taub für den Wunsch seines Verfolgers watete er weiter, schupfte quasi mit den Sandalen vor sich hin, einfach weiter den Pier entlang in Richtung Ende, ohne sich umzudrehen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Einfach weitermachen. Weg hier. Wenn der ihn einholt … tjorp. Aber vielleicht irritiert es seinen Verfolger denn doch, wenn er einfach drauf verzichtet zu rennen. Er darf so oder so nicht rennen, dann ist er gleich verloren. Dann verbraucht er seine letzten Reserven. Wenn er nicht gleich kollabiert.
    So oder

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