Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
schwitzte und knetete den Telefonhörer noch panischer, seit ich die Enduro aus den Augen verloren hatte – dahinten, am Ferdinandstor, wo eine Lücke im Uferbewuchs freien Einblick auf die große Kreuzung unterhalb des Bunkerblocks der Kunsthalle erlaubte. (Darüber sah man, wie immer, als wäre nichts gewesen, stillstehend die stilisierte Weltkugel am Giebeleck des Hotels Atlantic.) Und wo kurz darauf zwei Polizeifahrzeuge mit Blaulicht hinüberjagten, unter Abspielen genau jener Tonfolge des sog. Folgetonhorns, die im selben Moment das hellhörige Ohr einer Hamburg-Touristin aus Hanau zu dem Vergleich mit einem Karnevalstusch animierte.
Ich öffnete kein Fenster. Ich ging nicht hinunter auf die Straße. Ich telefonierte nicht. Ich schwitzte, und ich knetete die Formteile des Telefons, weil ich einen ganz bestimmten Moment ersehnte, der einfach nicht eintreten wollte (und den ich so mühsam herbeizuspähen versuchen mußte, weil Vietsens verfluchter Onno mir mein Fernglas nicht zurückerstattet hatte): Doch sie tauchte nicht wieder in meinem Blickfeld auf, die Saselbek .
Eigentlich hätte sie das tun müssen auf ihrer planmäßigen Route vom Atlantic-Anleger (Ostufer) zum Anleger Rabenstraße (Westufer). So, wie ich es schon Dutzende Male in Sinnierpausen beobachtet hatte. Ich spähte und spähte durch die Lücke im Baumbewuchs an der mir gegenüberliegenden Kante des Binnenalsterbeckens – jene Lücke, die Lombards- und Kennedybrücke rissen. Tigerte an der Fensterflucht meines Kanzleibüros auf und ab, auf und ab tigerte ich. Zahnloser Tiger, Papiertiger – mit nach wie vor galoppierendem Puls. Peilte angestrengt aus den Fenstern, bei jeweils unwesentlich variierter Perspektive, doch unentwegt. Und währenddessen, unter Aufbietung aller verfügbaren Willensgewalt, unterdrückte ich den Impuls, Edda anzurufen. Denn was hätte ich ihr sagen sollen? Was zum Teufel hätte ich ihr sagen sollen?
Ungefähr 11:30 Uhr. Immer noch genau jener Freitag, der 13. August.
[Menü]
Das Internetvideo »Irrer Huene«
Clip 4/4
Länge: 30 min. 04 sec.
Aufrufe: 1.132.994
Bewertung: *****
Zwischen dem Ende von Internetclip 3 und dem Anfang von – clip 4 sind aus dem Zeitkontinuum rund dreißig Sekunden herausgeschnitten.
Auf Dagmars ›Masterband‹ hört man in jener halben Minute die letzten Noten aus dem kakophonischen Kanon verklingen, den das Sirenenorchester des hanseatischen Peterfuhrparks zur Untermalung der geschehenen Undinge intoniert hatte. (Der Aufmarsch der Polizeikräfte war, rund zwanzig Minuten nach dem Start der Saselbek vom Atlantic-Anleger, komplett abgeschlossen. Ihre Anwesenheit signalisierten fortan nur noch die blauzuckenden Wetter auf beiden Ufern. Von welchen das so gut wie zum Stillstand gekommene Alsterschiff inzwischen ungefähr gleich weit entfernt war. Das Streifenboot der Wasserschutzpolizei blieb zur weiteren Beobachtung auf Distanz.
Sämtliche Meldewege der Polizei waren beschritten, das Einsatzrubrum Geiselnahme infolge der Aussage des Piercingclubs gegen 11:30 Uhr bestätigt und in der Zentrale eine entsprechende Sonderkommission zusammengetreten, bestehend aus Einsatzleiter, Psychologen, Technikexperten und Vertretern des für Geiselnahmen zuständigen Raubdezernats. Diese sog. Aufbauorganisation versuchte nun seit ein paar Minuten, die Beobachtungen der geflohenen Zeugen, der mit Feldstechern ausgerüsteten Beamten an den Alsterufern und derjenigen auf dem Streifenboot der WSP zu sammeln, zu verifizieren, zusammenzureimen. Ein Hubschrauber, der ggf. Bilder übertragen könnte, war startbereit. Um eine Einsatztaktik – optional mit Spezialeinheiten – auszuhecken, war es angesichts der unklaren Lage noch reichlich zu früh. [»Mit Hörnern, ist klar. Und Kannibalenknochen. Verstanden.« »Und es wird da gefilmt? Bestätigen, bitte.« »Einen Hundekopf? Einen weißen Hundekopf , habe ich das richtig verstanden?«])
Visuell wahrzunehmen ist währenddessen auf Dagmars Masterband, wie der irre Hüne ebenjenen Kopf, Bellas aus dem Maulkorb tropfenden Kopf, dem bronzerot gebrannten Mann mit der beigefarbenen Baskenmütze entgegenstreckt. Wobei man hört, wie er etwas sagt, das man inhaltlich wie folgt zusammenfassen kann: »Halt mal, Dicker. Ich muß meiner Kamerafrau ein paar Regieanweisungen geben.« Daraufhin scheint ein Ruck durch den Mann mit der Baskenmütze zu gehen, eine weiterführende Reaktion aber erfolgt nicht.
So daß der Hüne Bellas Kopf – ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher