Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
ausgerechnet jetzt in flagranti erwischen?
Und doch kam es so. Genau so. Ende Schicksalsgüte. Ende Zaunpfahl.
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Aus lauter Trotz hatte Onno seine Observation sogar noch über das bisherige Maß hinaus ausgedehnt. Daß Queckenborn nicht noch einmal anrief und nach dem Verbleib der Observationsprotokolle fragte, bestärkte ihn nur. Er fand einen neuen Parkplatz vor Nummer 7. Zum Zeitvertreib grübelte er über Fragen wie die, weshalb ein Dreisilber wie ›Zielperson‹ abgekürzt wird, ein Viersilber wie ›Observation‹ aber nicht. Insofern war die Queckenbornsche Schöpfung ›Osation‹ ja durchaus ein Fortschritt. Na.
Zeit für ein Telefonat. Schnellwahl ›Zuhause‹. Donnerstag- und Freitagnachmittags war Edda zu Haus und besserte ihr 32-Stunden-Gehalt mit Strickaufträgen für das renommierteste Wollfachgeschäft Hamburgs auf. »Viets?«
»Na, Strickliesel?«
»Na, Herr Kriminaldings?«
Onno referierte kurz die BünaBe-Nummer. Und die Dolan-Nummer. Und kündigte Überstunden an.
»Macht nix. Wir haben heut mal wieder hier gekocht. Ein paar Königsberger Klopse sind übrig. Kannst du dir dann warm machen …«
»Wie viele sind’s denn?«
»Viewiele, viewiele …« Edda überlegte. Aus irgendeinem harmlosen logopathischen Grund sagte sie, seit er sie kannte, ›Viewiel‹, was Onnos Oxytocinspiegel mitunter bis auf Wonneniveau schnellen ließ. »Zwei, drei Stück, schätz ich.«
»Klasse, Schneckchen! Schüs!«
»Schüs, mein Uhu.«
Und um 21:05 Uhr hielt dann vor der Hausnummer 10 jenes Taxi. Es dämmerte zwar schon stark, doch als der Fahrer ausstieg, war er gut zu erkennen: Lederkutte, Bauch, und im bleichen Licht des Klingeltableaus die Frisur: Altweibersommer in der Halbwüste. Er drückte einen Knopf, ging zurück und stieg wieder ein. Geschlagene acht Minuten später erschien tatsächlich sie. Aha, kein Boxster heut abend. Popöchen goes Piccolöchen. Bzw. ein Wesen, dessen Identität Onno einmal mehr genau genommen nur erraten konnte.
Inzwischen hatte er allerdings einen Blick für ihren Bewegungscharakter entwickelt. So divenmäßig ihre Toilette war, so schlecht vermochte sie ihre Fohlenartigkeit zu verbergen. Im Schein der Straßenlaterne erkannte Onno, daß sie ganz in Schwarz gekleidet war, Roaring-Twenties-Look oder so; Hütchen mit – ein Klopfer! – Gazeschleier, Bolero mit Schulterpolstern, dazu hochgeschlitzter Bleistiftrock samt Netzstrümpfen und, wie Onno erkannte, als sie in den Fond stieg, gerüschtem Strumpfband. Vollkommen overdressed für einen solch sommerlichen Frühling.
»Jetzt bin ich aber«, knurrte Onno sich in seinen Fünf-Tage-Bart, »gespannt, wo’s hingeht. Gespannt wie ’n Straps.«
I wo. Onno und Edda hatten an einem Sommerabend anno 1970 vorm Beatkeller der St.-Johannis-Gemeinde in Wilhelmsburg einander kennengelernt, vollgesülzt und entjungert. Seitdem waren sie ein zufriedenes Paar.
Glücklicherweise war der Droschkenkutscher von der gemächlichen Rasse. Kaltblut, wie Onno. Dranbleiben unproblematisch. An der Alster entlang ging es Richtung Innenstadt. Ein, zwei kurze Seitenblicke auf das Postkartenmotiv gönnte Onno sich. Hinter den buschig verwischenden Hecken, jenseits der defilierenden Baumstämme und Boulevardlaternen, die zwar kühl glommen, aber noch keine lauschigen Aureolen entfachten, die silbern gedengelte Alster. Die Skyline am anderen Ufer noch in ihren Profilen erkennbar, doch auch dort brannten bereits einzelne Lampen, nicht nach außen, vielmehr in sich selbst. Über den hohen Dächern ein rosafarbenes Band vom Abglanz der untergegangenen Sonne.
Die erste abendliche Beschattung! Los, Adrenalin ausschütten. Diesmal hatte er sich vorbereitet. Schaltete den iPod-Shuffle ein (Geburtstagsgeschenk von Raimund zum dreiundfünfzigsten), an den er auf dem Beifahrersitz zwei mobile Lautsprecherchen angeschlossen hatte. Es erklangen die schweren, düsteren Noten von Mobys »New Dawn Fades«-Version – das Stück vom Soundtrack (eBay, 1,50 Euro plus Verp.) zu Michael Manns »Heat«, das die Autobahnszene untermalt. Onno mühte sich redlich, Gänsehaut zu kriegen. Während die aufreizend hohen, aufreizend getragenen Gitarrenlicks in den Hamburger Abendhimmel schweiften wie blinde Suchscheinwerfer, sprach Onno den Text des vor Jagdfieber manisch kaugummikauenden Al Pacino vor sich hin: »Wie dicht bin ich an ihm dran, vierhundert Meter oder was? Bin ich weit weg oder dicht an ihm dran oder was.« Und die Antwort aus dem Funkgerät auch
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