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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schulz
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Punkt erhielt. Nach den Spielregeln gewann; ob nach den Regeln der Kunst oder Psychologie, spielte für ihn keine Rolle. Sein Ideal war ein Roboter. Was Sport zu Lust und Leidenschaft machte, war ihm nicht nur schleierhaft, sondern wurst. Selbst die Niederlage: wurst. Unwurst einzig der Sieg. (Warum nicht auch der, blieb sein Geheimnis. Und uns ein Rätsel. Ein ärgerliches.)
    Momentan lag freilich auch der relevanteste Vorteil aufseiten Raimunds: Ihm reichte ein Satzgewinn zum Sieg, Onno brauchte drei. Wobei schon ein einziger Satzverlust aufseiten Raimunds den Druck insgesamt wieder ausglich. (Denn schon bei einem zwo eins mußte den nächsten Satz auch Raimund gewinnen, sonst wäre ja wieder alles offen.) Onno hingegen rechnete nicht. Er spielte nicht mit Köpfchen oder Seelchen. Er baute auf Unerschöpflichkeit seiner Reserven. Er baute auf die Zähigkeit, mit der seine Vorfahren Warften besiedelt hatten. Deus mare, Friso litora fecit . Gott schuf das Meer, der Friese die Küsten.
    In der Handtuchpause beim nächsten Seitenwechsel ließ Onno seinen Schläger auf der Seite des Tisches liegen, an der er den letzten Satz gespielt hatte. (In diesem Fall: gewonnen hatte. Versteht sich, sonst hätte es ja keinen Seitenwechsel mehr gegeben.) Kein böser Wille. Kein Psychospielchen. Er machte das einfach bloß immer so.
    Raimund hingegen pflegte seinen Schläger gleich auf der anderen Seite zu plazieren (bzw., wenn er auf die handtuchstützpunktfernere Plattenseite wechseln würde, mitzunehmen). So daß er, der nach der Handtuchpause stets als erster an die Platte zurückkehrte, derjenige war, der die beiden gleichen Schläger anhand winziger Merkmale auseinanderdividieren mußte – eine zutiefst lästige zusätzliche Konzentrationsleistung. »Es ist unsäglich, wie tierisch mir das auf’n Sack geht«, frischte er die alte Erkenntnis auf. Allerdings lachend. Nicht aus Selbstironie, sondern um die für den kommenden Satz nötige Unverkrampftheit zu beschwören. Das war nicht einfach, weil er seit Jahren vergeblich durchzusetzen versuchte, daß Onno ein häßliches Filzstiftkreuz oder so auf seinen Schläger machte. (Was für Raimund nicht in Frage kam. Erstens, weil er schön war, und schließlich vergaß ja nicht er den Schläger stets auf der falschen Seite.) »Zwo eins, null null«, sagte Onno an.
    Vierter Satz. Dauerte sieben Minuten, wie ein gutes Pils.
    Nächster Seitenwechsel. »LEG DOCH DEINEN SCHLÄGER GLEICH AUF DIE RICHTIGE SEITE, DU ARBEITSLOSER! DU SCHNORRER! DU SCHNAKE!«
    »’schuldigung.«
    »ZWO ZWO, NULL NULL!«
    Ulli und ich tauschten einen Blick aus. Und wie heikel der finale Satz des Kampfes für Raimund verlief, verdeutlichte das Ausmaß seiner Selbstbezichtigung.
    Selbstbezichtigung pflegten wir (außer Onno) ebenso zu pflegen wie selbstanfeuernde Triumphschreie (§   15 Satzung). Es handelte sich um die beiden Seiten derselben Medaille. Selbstbezichtigung half, Fehler nachträglich zu bannen; destruktive Energie abzuführen; nicht einfach als selbstduldsamer Trottel dazustehen – wie etwa Onno es tat, der selbst bei einem GAU max. unartikuliert seufzte wie Oma Meume, die in der Pellkartoffel ein Auge entdeckt.
    Unter uns übrigen war die Selbstbezichtigungskultur eine rauhe, versteht sich. Ich etwa fluchte auf mich wie ein Touretteler (»Runter mit dem Arsch, du…!«), indes Ulli auch hierbei aufs vornehme Vredonisch zurückgriff (»Mak pa!«, »Mu! Mu !!« u.   ä.).
    Nach Onno war normalerweise Raimund am coolsten. Nun jedoch rechnete er nach jedem Fehler erbarmungslos mit sich selber ab. »DU BIST HÄSSLICH!« log er (Aufschlagfehler). »DU BIST SO HÄSSLICH, DASS DICH DIE SCHWEINE BEISSEN!« (Noch ein Aufschlagfehler.) »HACKEN, DU VOLLIDIOT! SCHWANZDUMMER, SAUDUMMER OCHSENKOPF! HACKEN, WEITER NIX! GEHT DAS VIELLEICHT BALD MAL REIN IN DEIN ERBSENHIRN?« (Aufschlag falsch gelesen.) Ja, schließlich gar: »SCHWUCHTEL! GEH BÜGELN, BLÖDE KUH!« (Keine Traute zu schmettern – folglich verzogen.)
    Natürlich schwiegen wir den Umstand, daß Onno noch drei zwo gewann, anschließend wie üblich tot. Doch hielten wir uns mit Sprüchen schadlos.
    Auf dem Trott aus der Halle in den Keller war von Raimund lediglich konsterniertes Knurren ausgegangen. Unter der Dusche erkundigte er sich noch heuchlerisch nach der Bewandtnis der verfärbten Schulter bei Onno, der diesbezüglich geheimniskrämerisch auf den Stammtisch verwies. Gleich danach aber, in der Umkleide, ging’s los. »Viets, alte

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