Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
einhacken mußte. Sondern man tippte eine Webadresse ein, und dann öffnete sich jedem Achtjährigen eine Galaxie außer Rand und Band.
Gleich dem Poesiealbum eines Strolchs zeigte der Bildschirm auf samtschwarzem Fond unendlich zu skrollende Fünferreihen von sondermarkengroßen Standbildchen. Neben der jeweiligen violetten Legende – Lauflänge (meist drei bis dreißig Minuten), vier- bis sechsstellige Anzahl der »views« und Bewertungsskala bis zu fünf Sternen – verfügte jedes Szenenfoto über eine Überschrift. Hot asian gets a facial. Gets watt? Bukkake party II. What for a party? MILF in Strapsen f***t sich selbst. Wer? Und warum plötzlich so prüde?
(Und, nebenbei bemerkt: Es fehlten zwar Titel wie Keine Ängste vorm Haflingerhengste oder Mannequin pis . Doch der content war zuhanden.) Jede der naßforschen Heldinnen nackt, halbnackt oder wenigstens ostentativ angezogen. Die einen liegen lang, die anderen verrenken sich vor lauter dionysischem Pogo, die nächsten hocken (Peniküre). Sie stammeln Afroamerikanisches, Weißrussisches, Meckpommersches und stöhnen eine Art Mänadenvredonisch, das dem Betrachter sagt: Kuck mal, ich hier, jahaa! Fummeln an den Ventilen ihrer Meiereien. Münder, Kloaken, Rekta – alles blüht wie Klatschmohn. Peitschenschwingenden Amazonen gegenüber, in kardanischer Aufhängung: Adipositaspatienten mit gebleckter Glans, in Ledermaske und Unterwäsche aus Stahlwolle … usf. Piiiep en masse. Nur »Stellen«. Traffic. Trash-traffic. Ficken ist trash. Erotik spielt keine Rolle. Ohne Umwege ins Eingemachte. Ficken für Nichtficker. Nutzen für Nutzer, die als Alkoholiker Benzin söffen.
Händchen, der sich ein Sweat-Shirt übergezogen hatte, und Onno lümmelten in je einer Ecke der größeren weißen Couch. Onno hielt sich am Torčglas fest. Bzw. versuchte, ohne den Torč aus dem Glas, den Alkohol aus dem Torč herauszuschwenken. »Nix gutt«, sabbelte Onno, gütig grinsend, »beser weise Fahahahne«, doch niemand verstand sein Astra-Jiddisch. Brüderlich ließ Händchen ihn brabbeln. Im rechten Winkel zu ihnen saß Fiona an einem acrylgläsernen Sekretär, halb verdeckt von der edlen Schale eines 27-Zoll-Macs. Ihre rechte Püppchenwange reflektierte als bläuliches Gewitterflackern, was der Monitor ihr zeigte – und den Männern, gröbst gepixelt, via Beamer auf einer gegenüberliegenden Leinwand.
»Das ist sie doch«, sagte Fiona. »Das ist doch Dona, wie sie leibt und lebt.«
»Schleimtunklebt«, nuschelte Onno, gütig grinsend, und fügte hinzu: »Oh mein Gooott. Ich kannich glauben, was ich da gesacht hab. Und was’ch da seh schogar nich. Hallo? Was hat sie denn da im Aller–«
»Hasenpfote«, sagte Fiona. »Oder ’n Kratzfuß oder so was. Oder Kratzhand, wie heißt das. Schlimm.«
»Aber jetzt such mal diese andere Irre da«, sagte Händchen, »dieses Tier.«
Er wollte, daß Fiona einen bestimmten Clip fand – seines Erachtens nach ein Beleg, daß Pornos keineswegs frauenfeindlich sein müßten. Angeblich handelte es sich um eine nackte, frei im Raume stehende Bodybuilderin, die, um sich ohne niederzuknien an dessen Glied ergötzen zu können, einen nackten Burschen stemmte – allerdings umgedreht, mit den Füßen nach oben und dem Kopf nach unten.
»Echt, Diggär«, sagte Händchen. »Und die pumpt nich mit ihrm Kopp, sondern bewegt den ganzen Kerl! An den Hüften!« Er demonstrierte das mit erhobenen Händen, Pumprhythmus und O-förmigen Lippen.
Und wie aus der Erbsenpistole geschossen, machte Onno den Witz, den Händchen in den nächsten Tagen immer aufs neue wiederholte: »Osfriesin, wscheinlich.«
Und da begann Händchen, so haarsträubend zu lachen, daß Onno die Gänsehaut selbst auf seinem angesoffenen Kopp spürte.
Es schien kein Ende nehmen zu wollen. Zwischendurch hyperventilierte Tetropov, stand keuchend auf und stapfte im Wohnzimmer auf und ab – und doch erwischte es ihn nach wenigen Schritten erneut, und er sackte in die Knie und hämmerte die Stirn in den hochflorigen Teppich. Selbst in seinem angesoffenen Kopp begann Onno, sich Sorgen zu machen, und Fiona suchte mehrfach seinen Blick, und als Dona auf der Leinwand endlich pacem gab, ging Fiona zu Händchen und kniete sich neben es, als habe sie es grad auf dem Asphalt der Ma1A gefunden.
Das war das letzte, an das Onno sich erinnern konnte, bevor der Film riß. Und das nächste, wie er – zugedeckt mit einer Wolldecke – langgestreckt auf dem weißen Sofa erwachte. Harndrang.
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