Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Kickboxen. K1. Free fighting. Irgend so was.
Zweieinhalb Stunden lang erzählte Tetropov. Dieser Kontrast zwischen Ruhe, Sediertheit geradezu, und dieser merkwürdigen Spannung und brenzligen Aufmerksamkeit. Die unmerklich ins Unstete übergehen konnte, das wiederum in dicke Adern mündete, die wiederum das Knie antrieben wie ein Mühlrad.
Zweieinhalb Stunden lang gab Händchen Onno mal väterliche Klapse – du bist in Ordnung, Digger, du bist in Ordnung –, mal schaute er ihn mit Sohnesaugen an.
Zweieinhalb Stunden lang hockte Onno da, ohne sich auch nur ein einziges Mal aus dem Rattansessel fortzubewegen. Alle Viertelstunde rauchte er ein Zigarettenstiftchen, und ab und zu nippte er an einem Glas Leitungswasser, das Händchen ihm hingestellt hatte. Sein Magen murrte, und der Gartenzwerg taperte unschlüssig auf und ab. Wenn Händchen zur Toilette ging – »Du rührs dich nich vom Fleck, Diggär« –, schaute Onno auf seine Armbanduhr. Tabaknachschub hatte er bei Handy und Fotoapparaten im Hotelzimmer gelassen. Hatte noch ein paar Fasern und Krümel für max. eine Stunde inkl. Rückfahrt.
Wie von Geisterhand hatte sich der runde Tisch seit gestern abend in die Nischenecke bewegt und den vierten Rattansessel an die Unterkante des Fensters genagelt, das Einblick ins Eßzimmer gewährte. Zweieinhalb Stunden war Onno praktisch eingekesselt gewesen von Tisch und Hüne. Onno wußte tiefinnerst, je weniger er sich rührte, je länger er aushielt, desto einfacher wäre der Abgang, falls Wachablösung durch Fiona nicht früh genug erfolgte. So hockte er seinen Gegner nieder.
»So, ich geh jetzt mal ins Hotel. Wird ja bald wieder dunkel.« Das war übertrieben – es war halb sieben –, aber Onno schaute demonstrativ in die graue Bucht, die von flauschigen, aber nur allzu dicken Wolken belagert wurde. Es war keineswegs warm, aber schwül. Blind starrten die Wohnwaben aus dem beige-grauen Karst und grau-grünen Gebüschel da drüben herüber. Eine Möwe kreischte, als würde ihr jede Feder einzeln ausgerissen.
Tetropov zögerte nur kurz, Onno gehenzulassen. Seine Miene war böse und flehentlich, und das Narben-Y auf der rechten Wange schien zu glühen. Die Stirnader warf ihren Schatten, zusammengesackt saß er da, die Augen geschwollen, doch das Knie wippte, als werde es mit Quarz betrieben. »Gut, aber du kommst morgen wieder, Diggär«, sagte er, »und bringst Badezeug mit.«
Als Onno aufstand, prüfte ihn Tetropov ein letztes Mal. »Eins noch, Digger«, sagte er, und stierte ihm schwarz ins Gesicht. Seine Mutter, Digger. Will er wissen, was das einzige ist, woran er sich richtig erinnern kann?
Klar.
Das einzige, woran er sich erinnert, ist, wie sie ihm immer den Mund und das Gesicht abgewischt hat, wenn er sich bekleckert hat. Hat ihr Taschentuch, das nach tollem Parfüm roch, Diggär, mit ihrem eigenen Speichel befeuchtet und dann sein Gesicht damit saubergemacht. Der Geruch, Diggär. Der Geruch von der Spucke seiner Mutter im Gesicht, und ihr Parfüm, Diggär.
Schwarz, mörderisch stierte Tetropov Onno ins Gesicht. Sein Fußballen wippte, doch all die andern schweren Muskelstränge wackelten völlig entspannt im Takt.
Und Onno wußte genau , was er zu tun hatte. Auf Anhieb. Intuition.
Er nahm das Dargereichte an. Hielt dem seltsam entleibten, halluzinatorischen Fleh- und Drohblick stand. Nickte. Wissend. Zweimal, oder zweieinhalb. Drehte dann den Blickwinkel auf vier Uhr und gestand mit brüchiger, doch rauher Stimme – wobei er versuchte, nicht allzu dick aufzutragen –: »Njorp … Ich zum Beispiel, ich hab ’ne Phobie. Ich bin Phobiker, Dicker. Ich mach mir in die Hosen, wenn ich Hühnerköpfe sehe. Geschweige Hahnenköpfe.«
Nun senkte Tetropov den Blick auf vier Uhr, und während ein Lächeln der Dankbarkeit, ja Seligkeit, der frivolen Verschmitztheit und Erleichterung in seine Gesichtszüge ausschwärmte, stand auch er auf und zog Onno an seine Brust, preßte ihn kurz an sich, daß Onno unwillkürlich ein »Uff« entfuhr, küßte ihn links, rechts, links, rechts, und sagte, hau ab, Diggär. Schlaf gut. Und versetzte ihm einen Klaps auf die geprellte Schulter, diesmal von hinten.
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Und wieder aß Onno einen Burger im Casa Maria, und dann ging er auf sein Zimmer, prüfte das Handy – kein Anruf, weder von Edda noch, erstaunlicherweise, von Queckenborn – und schaltete Agora TV ein. Doch noch vor Beginn der Show schlief er ein, und diesmal schlief er zwölf Stunden – zwar war
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