Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Blut-Hirn-Schranke zerfetzte. Tetropovs chamäleonische Ruhe war dahin, und ohne sie brach sich die Spannkraft ungut Bahn. In zerhackten Zyklen der Fußballenwippe. Hin- und Herwiegen. Blickamplituden, die den gesamten Mittelmeerhimmel abmaßen. Lockerungsübungen für die jederzeit zu verkrampfen drohenden Muskelstränge im Nacken. Es war, als bändige ihn nur noch der Rattansessel. Der hatte sich dem, in dem Onno saß, angenähert wie unter Einfluß eines Poltergeists, und Händchens Ellbogenknochen, ungefähr so groß wie Onnos Knie, nur härter, mahlte sich isotonisch durch Onnos Oberarmfleisch bis auf den – knochen. Noch ein, zwei Minuten, und der lila Pudel wäre schwarz.
Glücklicherweise katapultierte das Chi Tetropov vorher aus dem Sessel. Dessen Lehne wiederum in diese Panoramascheibe einen Riß riß. Fiona schrie auf, Händchen, im Killertangoschritt, verschwand eine Etage tiefer.
Diesmal faßte sie sich rasch. Atmete zwei-, dreimal durch. Tupfte Tränen aus Luft von den Wangenknochen. Dann, als gelte es, keine Zeit zu verlieren, sagte sie: »Ich pack jetzt meine Badetasche, und dann gehen wir baden, ja?«
Und Onno?
Zuckte die Schultern. Und nickte.
Kurz darauf führte sie Onno durch den Patio. Noch vorbei am Fuß der Wendeltreppe, die zum Parkplatz hinaufführte. Rund zwanzig Schritte weit zwischen mannshohen Grundstücksmauern hindurch, die bergabgewandte Seite weiter Richtung Bucht. Über eine kurze Brücke, die Zugang zu einem verglasten Fahrstuhl bot – offenbar auch den beiden nächstgelegenen Villen. Damit fuhren Onno und Fiona abwärts.
Hineingesprengt und – gegossen in die Küstenklippen, erwartete sie ein Betonplateau mit vier Einstiegsleitern wie in einem städtischen Naturbad. Außer ihnen nutzte es niemand. »Zu kalt, wahrscheinlich«, sagte Fiona. Möglich. Es war ein wolkiger Tag, der nur kurze Phasen aufstrahlenden, wärmenden Sonnenlichts zuließ. Onno glaubte allerdings eher, daß die umliegenden Villen einfach noch nicht bewohnt waren. Für so was hatte Genosse Millionario wenig Zeit. Mußte seinen Geldspeicher grubbern etc.
Onno ging zur nächsten Leiter und schaute ins Wasser. Fragte: »Gehst du rein?«
Fiona zog die Schultern hoch. »Und du?«
»Das geht gleich tief runter, nech?«
»Ja, ja! Stehen kann man hier nicht!«
»Tja, denn … ich kann nicht schwimmen, öff, öff. Nichtschwimmer.«
»Wie niedlich panne ist das denn? So was gibt’s?«
Fast hätte Onno ihr gestanden, daß er außerdem Nichtradler war, Nichttänzer und Nichtkugelstoßer. Aber wozu.
Fiona fröstelte; sie suchten sich ein windschattiges Plätzchen, wo sie ihre Handtücher ausbreiteten, und Onno schaltete auf Standby-Modus – doch Fiona schloß Mund und Augen, und trotz sorgenvoll pulsierender Halsschlagader schien sie irgendwann eingeschlafen zu sein.
Onno hatte sein T-Shirt anbehalten. Grund genug war die Witterung, aber er hätte es auch anbehalten, wenn er ins Wasser hätte gehen können. Hätte es mit der Gefahr weiteren Sonnenbrands erklärt. Wollte in Wahrheit aber vorsichtshalber vermeiden, seine Schulterprellung zu zeigen.
Nach einer Stunde erhob Onno sich und taperte ein wenig auf und ab. Die Wolken hatten sich verzogen, und im vorabendlichen Westlicht der schwachen Sonne bekam das Wasser eine schöne, klare Farbe. Onno dachte an die weitere Planung – wenn sie denn noch galt, nach dem Streit: Zunächst hatte es nach Port d’Antratx gehen sollen, zum Essen, für den Absacker dann nach Portals Nous bzw. Puerto Portals. Ganz schönes Hin und Her, doch nicht so schlimm wie Fionas Idee. Sie hatte eine Sause nach El Arenal vorgeschlagen – »voll trashig, wär doch voll lustig, keine Ahnung, voll mal den Ballermann machen, wenn wir schon mal hier sind« –, doch Händchen hatte angewidert abgewinkt: »Dreck, Diggär, Abschaum, Diggär. Ohne mich.«
Zutiefst abgesoffen in Sehnsucht nach und Vorfreude auf Edda, stand Onno da am Rand des Plateaus und starrte in den mit schaukelnder, tödlicher Fluidität gefüllten Abgrund, Karst, Schwämme, wehendes Meerjungfrauenhaar in türkisfarbener Sphäre … ein ellenlanger Barracuda, der in Zeitlupe mit dem Schwanz wedelte … und da geschieht es: Nichtflieger Onno fliegt. Ganz schön weit fürs erste Mal.
Als Kanonenkugel im Zirkus bist du ja mental vorbereitet auf jene Katapultkraft, die dich ab einem bestimmten Sekundenbruchteil unwiderstehlich befördert. Onno hingegen ist so überrascht, daß er schon wieder gerettet ist, bevor
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