Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
P. Porsild
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Den Danske Arktiske Station
Disko, Grønland
10. Sept. 1911.
Lieber Herr Balle-Lars!
Herzlichen Dank für Ihren letzten Brief! ... Ueber die Methodik Ihres Plans können wir wohl nicht einig werden. Ich wünsche Ihnen also nur viel Glück bei den Vorbereitungen und hoffe auf ein gutes Wiedersehen nächstes Jahr.
Ihr sehr ergebener,
Morten P. Porsild
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19. Juni 1912
Westgrönland
Die Gruppe, die sich am westlichen Rand des Inlandeises für die Expedition bereit macht, wirkt ein wenig lädiert. Roderich Fick ist beim Ausladen des Gepäcks von der »Fox« in den Laderaum gefallen und hat sich die Hüfte geprellt. Karl Gaule trägt einen Verband an der Stirn, weil sich eine Wunde infiziert hat. Und Hans Hoessly hat sich beim Aufstieg den Pickel ins Bein gehauen und eine Sehne verletzt. Wenig vertrauenerweckend muss dieses Drei-Mann-Lazarett aussehen, als de Quervain von einem Erkundungsmarsch zurückkommt und seine Mannschaft mit völlig schwarzen Gesichtern vorfindet. Gegen die unerträgliche Mückenplage haben sie sich mit Begolin gepanzert, einer teerartigen Spezialsalbe. Die hilft tatsächlich gegen Insekten, hat aber die Nebenwirkung, noch wochenlang in Spuren an den Wangen zurückzubleiben – oben auf dem Eis, wenn längst keine Mücke mehr zu sehen ist.
Die Schweizer haben beschlossen, jedem aus der Mannschaft eine Geburtstagsfeier während der Reise zu gönnen, egal, ob sein Geburtsdatum tatsächlich in den Zeitraum fällt. Zwecks Aufrechterhaltung der Moral. Einzig bei dem Expeditionsleiter passt das Datum, am 15. Juni wird er 33. Gaule führt ihn ins Zelt, als Symbole für de Quervains Position trägt er feierlich Eispickel und Hundepeitsche vor sich her. Was denn die Peitsche zu bedeuten habe, will das Geburtstagskind wissen. Mit schonenden Worten wird ihm beigebracht, dass er ein harter Befehlshaber sei und eigentlich die Regierungsform der Tyrannis ins Altertum gehöre.
Zum Festessen entkorken die Männer zwei Flaschen alkoholfreien Champagner der Marke Briod – Roderich und Gaule sind militante Anti-Alkoholiker und haben durchgesetzt, dass dies die einzigen Getränke im Gepäck sind, die sich für eine Party eignen.
Am 20. Juni 1912 um 11.50 Uhr wird es ernst: Bei einem Grad Celsius und starkem Nebel beginnt auf 556 Metern Meereshöhe der lange Marsch durch die Eiswüste. Die Männer zurren die Verpflegungskisten fest, 350 Kilo für die Hunde und 216 Kilo für die Menschen, für 60 Tage soll das notfalls reichen. Die Hunde werden angeschirrt, nach einiger Warterei zerren sie ungeduldig an ihren Riemen. Schon jetzt zeigt sich, dass die Kontrolle einer Meute wilder Tiere nur durch weise Führung zu bewerkstelligen ist.
»Bei der Zuteilung der Hunde mussten neben der möglichst gleichmässigen Zugkraft der Gespanne auch die schon vorhandenen besondern Hundefreundschaften berücksichtigt werden. Diese konnte man natürlich nicht ohne weiteres erraten und wurde erst bei den ersten Lagerplätzen durch unglückliches Hinüber- und Herüberwinseln von einem Hundegespann zum andern über das Bestehen einiger besonderer Sympathien belehrt«, schreibt de Quervain.
Ein erheblich größeres Problem als die Sozialstruktur des Gespanns sind schon bald Kryokonitlöcher im Boden, an denen sich die Hunde ihre Pfoten aufscheuern. Eine Blutspur markiert die erste Etappe.
Mehrmals müssen die schweren Schlitten mit vereinten Kräften wieder aufgerichtet werden, weil sie sich auf dem von Flussläufen durchzogenen Grund überschlagen haben. Im Lager quetschen sich am Abend acht Männer in das 2 mal 2,40 Meter große Expeditionszelt. Mercanton und Jost sowie zwei Grönländer namens Jens und Emil sind noch mitgekommen, um beim Aufstieg zu helfen.
Die beiden Inuit erweisen sich allerdings nicht als große Hilfe. Einerseits sind sie ungeduldig, weil am Ufer ein Großereignis bevorsteht, das kein Einheimischer verpassen will: der jährliche Angmasettenfang, die traditionelle Jagd auf Lodden, rund 20 Zentimeter lange Schwarmfische. Andererseits halten die Inuit eine Tour über das Inlandeis für eine völlig absurde Idee. Legenden zufolge sollen auf dem Eis menschenfressende Riesen auf Opfer warten.
Das Interesse von Jens und Emil, die Legende auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, ist erkennbar gering. Anstatt wie verabredet noch eine ganze Woche mitzulaufen, bestehen sie darauf, schon am Morgen des dritten Tages umzukehren. Keine Überredungsversuche können sie umstimmen. Damit sie
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