Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
können wir beobachten, dass wir nicht mehr allein sind. Zwei weiße Inuit-Motorboote liegen am Ufer, daneben sind Netze ausgespannt, um Angmasetten zu fangen.
21. Juni 1912
Zürich, Tagebuch von Marie Fick, Mutter von Roderich Fick
Heute ist der zweite Brief von Roderich aus Grönland/Holstenborg angekommen. Es ist wahrhaft beglückend, Roderich so befreit u. losgebunden von aller ihn bedrückenden europäischen Pseudokultur in seinem Element zu wissen. Seine Briefe sind Tagebuch ohne jegliche Gefühlsäußerungen, nur lebendige Thatsachen, klar, aber doch sehr anschaulich. Man ersieht doch daraus höchstes Glücksempfinden, ein Leben aus vollen Zügen; er friert u. hungert mit Vergnügen. D. h. Hungern brauchten sie bis jetzt noch nicht.
24. Juni 1912
Westgrönland, Inlandeis, Tagebuch Roderich Fick
Wir erreichen den ersehnten Firn, aber er ist so weich und sumpfig, dass das Fortkommen recht schwer ist. Q. gieng ein weites Stück voran, um einen Weg zu suchen. Es handelt sich um die Umgebung eines Sees. Wir müssen stundenlang warten, bis er winkt, dass wir nachkommen sollen, was auch nur schwer durch den Zeiss zu erkennen war. In der Wartezeit wollte ich mir von einer flachen Anhöhe die Wegverhältnisse übersehen, aber kaum war ich einige Schritte von den Schlitten weg, als ich auch schon bis über die Hüften versank im Schneesumpf. Ich konnte mich rückwärts glücklich wieder herausarbeiten.
Wir müssen deshalb von jetzt ab nachts reisen, da dann der Schnee und die Sümpfe gefroren sind und besser tragen. Die Schlitten schlagen gewiss 10 mal am Tag um, und immer muss wieder gehalten werden, um sie aufzuheben, und dann kostet’s oft grosse Mühe, bis sie wieder in Gang sind, da sie sich immer dabei festrammeln. Das Fahren des nachts auf dem Harsch, der aber immer doch durchbricht, nimmt die Pfoten der Hunde stark mit, sie wollen auch oft nicht mehr recht ziehen und brauchen viel Zureden.
Es war am Morgen nach dem vierten Reisetag im Gebiet der Inlandeisseen, als Hoesslis Gespann auf einen gefrohrenen solchen See losfährt und auch mitten drauf. Ich wollte meine Hunde noch zurückhalten, da mir das Eis zu dünn aussah. Die stürmten aber dem ersten Schlitten im Galopp nach und ebenso das 2te Gespann von Hü mit Q. drauf auch. Als alle drei Schlitten ganz dicht beieinander standen, war es zu viel für die dünne Eisdecke, es entstehen überall Sprünge und (sie) bricht durch. Hoessli kommt mit Peitsche und Zurufen glücklich weg auf festeres Eis, da seine Hunde auf etwas rauhem Eis standen. Bei unseren beiden andern Schlitten gelingt es nicht, die Hunde wollen ja ziehen, gleiten aber einfach aus, und alles geht in die Tiefe.
Es sah kritisch aus und ich glaubte, es gienge zu Ende! Schon jetzt!? Dass Hoessli nicht mit eingebrochen war, hatte ich im ersten Augenblick nicht gewusst oder bemerkt. Es war ein saumässiges Gefühl, und ich fluchte: »Donnerwetter«! Wir waren bis zum Hals im Wasser, hielten uns an den Schlitten und fühlten keinen Grund. Die Schlitten sanken langsam mehr und mehr. Hü und mir gelang es schnell, uns auf die Schollen zu ziehen. Ich wollte Q. die Hand reichen, um ihm auch auf eine Eisscholle herauszuhelfen. Er verweigerte die Hilfe und zog sich an einem Schlitten selbst auch raus. Unsere Kleider waren in dem kalten Wind fast momentan zu Eispanzern gefroren. Ich rufe: »abpacken!« und will eben anfangen, die Materialsäcke loszuschneiden, indem ich mich vorsichtig dem einen Schlitten nähere. Darüber wird Q. wütend und sagt: »Hier muss ich das Kommando haben!« und nach einer Pause. »Schneeschuhe anziehen!« Wir machen nun die Schneeschuhe zuerst los. Ich habe es vorgezogen, nur einen Ski und ausserdem ein Steigeisen anzuziehen, um mit dem einen Fuss Halt zu haben und das Hauptgewicht auf den Ski zu stützen.
Zuerst machten wir die obersten Sachen auf den Schlitten los und schnitten die Hundegespanne ab. ... Mein Gewehr habe ich zuerst in Sicherheit gebracht; Hoessli verstand mich sofort und sagte, ich möchte doch auf alle Fälle für jeden von uns eine Patrone aufheben.
11. August 2011
Ostgrönland
Uli, Patrick, Eckhart und ich stehen heute besonders früh auf, schon um fünf Uhr starten wir am Camp. Mittags soll ein Boot kommen und uns zum nächsten Zeltplatz bringen, deshalb haben wir nicht viel Zeit. Aber diese Tour muss sein. In Opas Tagebuchaufzeichnungen haben wir eine Passage über seine »Warte« entdeckt: einen Steinmann, den er als Hilferuf auf einem
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