Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
markanten schwarzen Berg über dem Hundefjord errichtete. Oben befestigte er eine leere Pemmikandose, um damit das Sonnenlicht zu reflektieren. An diesem Leuchten sollten Kajakfahrer im Fjord erkennen können, dass oben Menschen waren.
Die dunkle Felskuppe, über die er schreibt, kann man nicht übersehen, sie ist uns schon länger aufgefallen. Ein schwarzer Tafelberg, von Weitem erinnert seine Form an einen Ayers Rock im Miniaturformat. Wir marschieren auf ihn zu, laufen oben am Moränenrand noch einmal über das Inlandeis, wo wir mit großen Sätzen einige Gletscherflüsse überspringen müssen. Nach vier Stunden sind wir oben – und trauen unseren Augen nicht: Wir entdecken tatsächlich einen Steinmann aus hellen und dunklen Felsbrocken.
Er steht an der Stelle, die vom Sermilik-Fjord unten am besten sichtbar ist. Und nicht am höchstgelegenen Punkt des Plateaus. Für Patrick ist das der Beweis, dass wir tatsächlich vor dem 99 Jahre alten Leuchtturm stehen, einem der frühesten Werke des Architekten Roderich Fick. »Wer hier nur eine Gipfelmarkierung baut, würde doch die höchste Stelle auswählen«, sagt Patrick.
Ich suche die Umgebung ab in der vagen Hoffnung, noch rostige Blechreste der Pemmikandose zu finden. Natürlich ohne Erfolg. Doch im Hohlraum in der Mitte des schwarzgrauen Bauwerks liegt ein orangefarbener Gegenstand. Ich versuche hineinzugreifen, bekomme das Ding aber nicht zu fassen. Zerlegen möchte ich den Steinmann auch nicht, das kommt nicht infrage. Ich probiere es noch einmal, ganz vorsichtig, mit dem Zeigefinger voraus, der Arm bleibt fast stecken. Dann habe ich es. Ich hebe eine Schrotgewehrpatrone mit geriffelter Plastikummantelung auf, der Herstellername Eley und die Zahl Zwölf stehen auf dem Patronenboden aus rostigem Metall.
Wie die wohl da reinkommt? Wer einen solchen Hilferuf aus Stein baut, wird darin mit Sicherheit irgendeine Art von Nachricht hinterlassen. Das Stück Munition kann unmöglich fast 100 Jahre alt sein. Jemand muss es später hineingeworfen haben. Ob dieser Jemand stattdessen die Originalnachricht mitgenommen hat?
Ich setze mich neben die Warte und blicke für einige Minuten nur nach Westen, auf die zerfurchte Eisfläche, die sich am Horizont in Endlosigkeit verliert. Rechts ist ein Nunatak zu sehen, so nennen die Inuit Felsen, die aus dem Eis herausragen. Ansonsten nur Weiß. Gen Osten ist die Landschaft viel schöner, doch Bergpanoramen, Fjorde und Eisberge interessieren mich in diesem Moment nicht. Dort sind sie hergekommen. Nächstes Jahr komme ich wieder und laufe da rüber, das steht fest.
Auf dem Rückweg ruft Patrick bei Robert Peroni in Tasiilaq an, um zu erfahren, ob die Boote pünktlich kommen. »Sechs Stunden später«, ist die Antwort. Wir gehen baden. Na ja, eigentlich geht nur Patrick baden. Nackt schlittert er von einem schrägen Eishang herunter, wie über eine Sprungschanze geht es dann aus einem Meter Höhe ins eiskalte Wasser eines kleinen Sees. Der Kerl ist echt schmerzfrei. Wir anderen wagen uns nur bis übers Knie hinein, aber den geschundenen Füßen tut ein bisschen Wasser auch mal gut.
Im Tal haben wir noch etwas Zeit. Ich frage meine Mutter, was Opa für ein Mensch war.
Sie muss ein bisschen überlegen. »Auf jeden Fall war er ein Einzelgänger, der sich in Gesellschaft oft sehr unwohl fühlte und ein starkes Bedürfnis nach einer abgeschlossenen privaten Sphäre hatte«, sagt sie schließlich. »Er war sehr selbstkritisch und unsicher, sehr sensibel, andererseits aber doch von seinen Fähigkeiten überzeugt. Und getrieben von einer großen Neugier in den Naturwissenschaften, Luft- und Raumfahrttechnik zum Beispiel. Später hat er sich auch viel mit philosophischen Problemen beschäftigt. Da war er sehr hartnäckig, las Kant und Schopenhauer und konnte jahrelang an einem Thema knobeln.« Aus Berichten meiner Oma weiß sie, dass er sich als Professor an der Uni oft über das Autoritätsgehabe seiner Kollegen und Vorgesetzten lustig machte. »Er imitierte ihre Art, die Studenten bogen sich vor Lachen, und er fragte sie dann mit gespielter Unschuld: ›Worüber lachen Sie denn jetzt?‹« Was sich gehörte und was nicht, darum habe er sich nicht besonders geschert. Einmal sei er auf Fahrrädern mit meiner Oma durch die Gänge der Technischen Hochschule gefahren, einfach nur, weil es Quatsch war und verboten, da war er schon fast 60. »Und er erzählte gern Gespenstergeschichten. Wenn er die Zuhörer so richtig geängstigt hatte, schickte
Weitere Kostenlose Bücher