Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
und der Vater zurückblieb war ich natürlich mit Gedanken, ob ich wieder zurückkommen würde oder nicht beschäftigt. Der Zug fuhr das Limattal hinab, ich sah Zürich kleiner werden und suchte am Zürichberg die Stelle, wo der Schmelzberg liegt, und suchte sie so lange im Auge zu behalten als möglich.
Wir sprachen lang nichts zusammen. Ich dachte drüber nach, welche Beweggründe mich zu der Grönlandreise drängten. Ich fand sie nicht klar zusammen, wusste aber dass ich musste. Aber ich wollte auch und hatte den sehnlichsten Wunsch dazu. Es war das einzige bedeutendere Unternehmen meines Lebens, das ich nach meinem Willen seit Jahren vorbereitete.
21. Juli 2012
Hamburg
Meine Eltern besuchen mich in Hamburg. Ich wohne hier seit sechs Jahren, in denen sie mich noch nie besucht haben. Dann sieht man sich noch mal, haben sie gesagt. Wir sitzen auf dem Balkon und reden über Grönland letztes Jahr, über Grönland 1912, über meinen Opa. Meine Mutter erinnert sich: »Er konnte perfekt ein Froschquaken imitieren, das machte er auch, wenn er konzentriert arbeitete. Toll fand ich, wenn wir zusammen ›heiße Bildchen‹ gemacht haben – ich durfte mit rotem Wachs sein Siegel auf Briefe stempeln.«
Die beiden zeigen mir ein Foto von einer Entdeckung, die sie vor ein paar Wochen im Skandinavienurlaub gemacht haben. In Mariehamn auf den Ålands-Inseln, Hotel »Esplanad«, Doppelzimmer ab 37 Euro. Im Treppenhaus hing eine Weltkarte, auf der die Routen wichtiger Forschungsreisen eingetragen waren. Marco Polo. Vasco da Gama. Sir Francis Drake. Und mitten in Grönland eine gestrichelte Linie: »Alfred de Quervain, 1912«. Die Schweizer Expedition ist doch nicht in Vergessenheit geraten. Zumindest auf den Ålands-Inseln.
25. Juli 2012
London
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Nachrichtenmeldung auf der Online-Seite der BBC:
Satelliten zeigen plötzliche Eisschmelze in Grönland
Grönlands massives Inlandeis ist diesen Monat auf einer ungewöhnlich großen Fläche geschmolzen, berichtet die Nasa.
Wissenschaftler sagten, die Schmelze sei in einer größeren Region eingetreten als vorher in drei Jahrzehnten der Satellitenbeobachtung. Selbst an Grönlands höchstem und kältestem Punkt »Summit Station« sei das Eis geschmolzen.
Die tauende Eisregion vergrößerte sich von 40 Prozent des Inlandeises auf 97 Prozent in nur vier Tagen nach dem 8. Juli.
Obwohl etwa auf der halben Fläche des grönländischen Inlandeises normalerweise in den Sommermonaten eine Schmelze zu beobachten ist, überraschte die Geschwindigkeit und das Ausmaß in diesem Jahr die Wissenschaftler, die das Phänomen als »ungewöhnlich« beschrieben.
»Wenn wir eine Schmelze an Stellen beobachten, wo wir das vorher nicht gehabt haben, zumindest für einige Zeit, dann macht das einen stutzig, und man fragt sich, was da passiert ist«, sagte Waleed Abdalati, wissenschaftlicher Leiter bei der Nasa. »Das ist ein wichtiges Signal, dessen Bedeutung wir in den nächsten Jahren erforschen werden.«
Die Nasa sei sich nicht sicher, ob es ein natürliches, aber seltenes Ereignis ist oder ob es auf durch Menschen verursachte Erderwärmung zurückzuführen ist.
Bislang betrug der größte Anteil der Eisfläche, der laut Satellitenmessungen von einer Schmelze betroffen war, 55 Prozent.
Am Punkt »Summit Station« schmolz das Eis zuletzt im Jahr 1889, wie die Analyse von Eisbohrkernen ergab.
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30. Juli 2012
Hamburg
Reisewarnungen im Wandel der Zeit: Der dänische Botaniker und Expeditionsspezialist Morten Porsild beschwor 1911 Alfred de Quervain per Brief aus Grönland, seinen Plan noch einmal zu überdenken. Die Mitarbeiterin des Reiseveranstalters fragte 2011 meine Eltern im persönlichen Gespräch, ob sie sich das wirklich gut überlegt hätten. In meinem Fall kommen die Zweifel vor allem von eifrigen, aber anonymen Kommentatoren,
die über einen Online-Artikel über meine Arktisvorbereitungen diskutieren.
okx:
Viel zu spät angefangen zu trainieren. ... Für so was braucht man deutlich mehr Training als für einen Marathon, und schon für einen simplen Marathon braucht man mit den hier beschriebenen Ausgangsvoraussetzungen schon mal gut ein halbes Jahr ernsthaftes Training.
riomer:
Na toll – da reicht jemand aus der Familie, der vor 100 Jahren eine Heldentat vollbracht hat, als Eintrittskarte aus. Qualifikationen Fehlanzeige. Das ist schwer zu akzeptieren. Wie beim »Adel«: Da sind die Verdienste (oder Vergehen) auch oft jahrhundertealt.
liquimoly:
Klar doch, ein
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