Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
buchten sie einen Flug nach Reykjavik und von dort zurück nach Grönland, ein Umweg von zweimal 700 Kilometern.
Nicht weit von Tasiilaq haben sie zwei Nächte nahe der Umiagtuartivit-Insel am Sermilik-Fjord gezeltet. An der Stelle, wo 19
12 das Depot für die Expedition eingerichtet war. »Wir haben dort zwei Steinmänner gefunden«, berichtet Bernhard de Quervain mit leuchtenden Augen, die GPS-Koordinaten hat er aufgeschrieben. Diese Steinaufschichtungen wiesen damals den Abenteurern den Weg, 100 Jahre später stehen sie immer noch.
Am 1. August 1912, dem Schweizer Nationalfeiertag, stieg Alfred de Quervain an einer kleinen Bucht vor dem Depot in ein Kajak und paddelte in Richtung Tasiilaq. »Und am 1. August 2012
waren wir an dieser Bucht und haben Caipirinha mit Inlandeis getrunken«, berichtet sein Enkel.
Interessiert hören die Schweizer zu, als Wilfried von seinen bisherigen Touren auf der historischen Route berichtet. Es ist ein lustiger Abend, wir sind nach wenigen Minuten beim Du und leeren ein paar Carlsberg auf die glückliche Fügung, uns hier getroffen zu haben. Ein unglaublicher Zufall, denn die Schweizer sind nur heute in Tasiilaq, morgen fliegen sie nach Hause.
Acht Enkel von Alfred de Quervain wünschen uns per Handschlag Glück und Durchhaltevermögen für die nächsten Wochen.
25. Juni 1912
Grönland, Inlandeis
De Quervain, Hoessly, Gaule und Roderich sichten gemeinsam den Schaden, der durch den Wassereinbruch entstanden ist. Ein Stereoskop ist nicht mehr zu gebrauchen, ein Sack mit Angmasetten-Fischen, die als Hundefutter dienen sollten, im Eissee versunken. Die Kisten mit Brot, Biskuits und Zwieback haben viel Wasser abbekommen, sie werden unausweichlich zu festen Klötzen gefrieren. Die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände sind jedoch nicht beschädigt: die Schlafsäcke, die Messinstrumente, das Kochgeschirr und die Zündhölzer, die Roderich noch an der Westküste extra wasserdicht verpackt und auf alle Schlitten verteilt hatte.
Jetzt gilt es, zügig mit den Schlitten in günstigeres Terrain zu kommen, denn die Gruppe befindet sich immer noch auf dünnem Eis über einem riesigen See. Immer wieder entstehen bedrohliche Risse im Boden. Es knackt und kracht unter den Männern, die ihre Hunde zu immer höherem Tempo antreiben.
Gaule scheint sich die Belehrungen des Expeditionsleiters zur Arbeitsmoral auf der »Hans Egede« zu Herzen genommen zu haben und ist nun besonders eifrig: »Hü macht die Beobachtungen mit dem Sextant für die Ortsbestimmung«, schreibt Roderich. »Wenn wir in den Schlafsäcken liegen, macht er noch elektrische Messungen und arbeitet überhaupt am meisten. Q. hat ihn schon gewarnt, er solle sich ja nicht überarbeiten. Er will auch durchaus das Kochen vor dem Aufstehen machen, wenn wir noch im Schlafsack liegen.«
In der Einöde werden kleine Begegnungen zu Großereignissen. Am fünften Reisetag passiert die Kolonne eine Möwe, die auf einem gefrorenen Tümpel sitzt: »War sie vom Sturm in die Wüste verschlagen, hatte sie Hunger?«, fragt de Quervain in seinen Aufzeichnungen. »Gerne hätte ich sie an die Angmasetten verwiesen, aber wir konnten uns nicht verständigen.«
5. August 2012
Tasiilaq, Ostgrönland
Die »Irena Arctica« hat Verspätung. Schon vorgestern sollte das Frachtschiff ankommen, an Bord eine große Holzkiste, in der sich unsere Pulkaschlitten, Skier und 117 Kilo Lebensmittel befinden. Am Hafen erfahren wir, dass es mindestens drei Tage später kommt. Keine guten Nachrichten für uns, denn dadurch wird sich unser Aufbruch ins Eis verzögern. Selbst wenn die »Irena Arctica« im Hafen festmacht, kann es noch lange dauern, bis alle Container entladen sind. »Bei der letzten Lieferung habe ich acht Tage gewartet«, berichtet Robert Peroni. »Aber ihr habt bestimmt mehr Glück.«
Wir können nun also nur warten, was den Vorteil hat, dass wir überraschend Zeit für eine Sightseeingtour haben. Ein letztes Mal Tourist sein, bevor es aufs Eis geht: Wir buchen eine Bootstour zu einem Ort, den uns Peroni ans Herz gelegt hat. »Am Rasmussen-Gletscher habe ich meine Liebe zu Grönland entdeckt«, sagt er. Mehr als 30 Jahre ist das her.
Mit 2
25 PS hüpft das orangefarbene Motorboot über das Wasser, zwischen den steilen Flanken 1000 Meter hoher Berge hindurch. »Das ist hier so, als würde man die Schweiz auf 2500 Meter Höhe fluten«, sagt einer der neun Tourteilnehmer, die in dicken Klamotten und Schwimmwesten im Boot sitzen.
Der
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