Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
Hoessli, etwas rechts von unserem Kurs hohe Berge zu sehen, die sich aber als Wolken erwiesen. An diesem Tage giengs in langen Terrassen aufwärts, und es waren schöne Kumuluswolken, nach denen man sich beim Vorangehen gut richten konnte. Später wurde es wieder etwas neblig, und ich wusste gar nicht mehr beim Vorlaufen, ob es bergauf gieng; die Ski liefen so leicht, dass die Hundegespanne hinter mir in flottem Trab bleiben konnten, und ich glaubte eher, dass es abwärts gienge; am nächsten Zeltplatz stellte es sich aber heraus, dass wir doch wieder 80 m höher gekommen waren.
In diesem ansteigenden Terrassengebiet konnte ich eines Tags mit meinem schweren Schlitten den andern kaum folgen. Der Abstand wurde immer grösser. Ich musste die Hunde immer antreiben und konnte an dem Tag auch nicht aufsitzen. Das Ingangreissen der Schlitten durch Hin- und Herrutschen des Vorderbügels wollte nicht recht gehen, und bei jeder Schneewehe blieben die Hunde stehen. Es war ein sehr mühsames Weiterkommen, da ich viel mithelfen musste.
Ich entdeckte dann die Ursache, als ich mir mal die Schlittenspuren genauer ansah. Ich fand dann an der rechten Kufe einen Riss in der Neusilberschiene, der sich zum Teil umgeklappt hatte und immer wieder Eis ansetzte. Ich versuchte während der Fahrt durch Überfahrenlassen des Peitschenstiels die Eisknollen zu entfernen, was aber nur kurze Zeit half.
Ich wollte daher die andern bewegen, Zeltplatz zu machen, da meine Hunde und ich wirklich genug hatten. Die andern waren aber so weit voraus, dass es nicht gelang, und als sie endlich selber Zeltplatz beschlossen hatten, kam ich ziemlich erschöpft an. Am folgenden Tag flickte ich die verletzte Kufe, indem ich das Blech wieder glatt hämmerte, die Enden etwas ins Holz hineinbog und mit einigen Nägeln festmachte. Von da ab ging’s wieder besser.
11. August 2012
Grönland, Inlandeis
Wir geben uns alle Mühe, die angeschlagenen Schlitten so wenig wie möglich zu belasten, aber es reicht nicht. Nach vier Tagen Schufterei bergauf und bergab hat sich der Riss in Wilfrieds Hightechpulka so stark erweitert, dass er bis zu den Kufen durchgeht. An meinem baugleichen Modell bildet sich dort, wo das Zuggestänge befestigt ist, ebenfalls ein Riss.
Bei jeder Kurve, die wir nun fahren, wird er erneut belastet. Irgendwann wird wohl der ganze Schlitten durchbrechen. Wir beschließen, sofort die Zelte aufzubauen – ein hübscher Platz zwischen zwei gewaltigen Gletscherspalten – und die Lage zu besprechen.
»Damit kommen wir niemals an die Westküste«, sagt Wilfried. Zwar erwarten wir spätestens in zwei Tagen erheblich bessere Bedingungen und Schnee statt Eis als Untergrund. Doch am Ende der Tour, etwa 100 Kilometer vor dem Zielpunkt, müssen wir noch einmal durch richtig schweres Gelände. Das würden die Schlitten nicht mitmachen.
Die Erkenntnis ist bitter: Unsere Expedition ist gescheitert – und das schon in der ersten Woche. Ausgerechnet die beiden nagelneuen handgefertigten Pulkas aus Karbon und Kevlar, die als die Besten auf dem Markt gelten und auf den härtesten Süd- und Nordpoltouren verwendet werden, haben die strapaziösen Tage des Aufstiegs nicht überstanden. Die schon zehn Jahre alten Schlitten von Gregor und Jan dagegen sind weitgehend unversehrt. Sie stammen von einem anderen Hersteller und sind aus glasfaserverstärktem Kunststoff gebaut. Deutlich preisgünstiger und etwas schwerer, aber offensichtlich auch erheblich stabiler.
»Wir haben für alles Ersatz, nur für die Pulkas nicht«, sagt Wilfried. »Wie willst du das auch mitnehmen?« Hätte es ein Zelt erwischt oder zwei Skier, einen der Laptops oder ein Satellitentelefon – kein Problem, alles doppelt vorhanden. Wir haben dicke Isomatten als Ersatz für die Luftmatratzen und Notfallschlafsäcke, einen Ersatzkocher und jeder circa fünf Paar Handschuhe – da darf ruhig mal eins wegfliegen. Nur die Pulkas, die haben wir nur einmal.
Wie einfach war das doch damals, als mein Opa die Metallkufen seines Hundeschlittens mit Hammer und Nägeln flickte. Ultraleichte Karbonfasern waren noch längst nicht erfunden.
Wir haben noch Verpflegung für 35 Tage und können jederzeit per Satellitentelefon einen Hubschrauber alarmieren, der uns innerhalb weniger Tage hier herausholt. Man redet bei Abenteuerreisen oft davon, dass man die Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts hinter sich lässt, aber das ist Unsinn, weil das 21. Jahrhundert in einem Notfall erheblich größere Chancen auf
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