Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
sofort nach, und sie warteten gierig bis der Gax erschien, um sofort darüber herzufallen und alles aufzufressen. Wir haben uns immer mit Skistöcken und Peitschen die Biester vom Leib gehalten; sonst hätten sie uns womöglich noch hinten reingebissen. Wahrscheinlich verbrauchen wir unser Pemikanquantum nicht ganz, und da finden sie in unserem Mist noch allerhand nahrhaftes.
Wenn auf der Reise bei einem vorderen Gespann ein Hund was fallen lässt und die hinteren Gespanne die dunkle Stelle im Schnee sehen, rasen sie drauflos, weil sie es für einen essbaren Gax halten; so wie sie aber näher kommen, merken sie am Geruch, dass es ein Hundegax ist und machen dann ganz unnötigerweise einen grossen Bogen drum herum. Wir müssen jedesmal wieder darüber lachen.
Ein merkwürdiges Verhältnis haben die Hunde auch zu Hoessli. Er ist ja der eigentliche Hundemann und hat durchs Geschirreflicken und als Hundearzt am meisten mit ihnen zu tun. Das haben die Hunde auch bald gemerkt. Wenn sie nachts brünneln müssen, gehen sie immer ans Zelt und verrichten ihr Geschäft an die Stelle, wo Hoessli liegt. Er flucht dann gewöhnlich etwas und rückt von der Zeltwand ab.
Morgens muss gewöhnlich Hoessli zuerst einmal raus, wie er sagt, weil er eine etwas kleine Blase habe. Kaum erscheint Hoessli draussen und besorgt sein Geschäft, sofort erheben alle Hunde sich, heben ein Bein hoch und machen’s nach. Wir hören dann im Zelt sein Lachen draussen.
9. August 2012
Grönland, Inlandeis
Das Prasseln auf dem Zeltdach kurz nach Mitternacht verheißt nichts Gutes. »Mist, das ganze Essen ist noch draußen«, sagt Gregor, der neben mir liegt. Wir haben die Säcke mit den Nahrungsmitteln zum Trocknen auf Plastikplanen gelegt, sie waren immer noch feucht von dem Wasserschaden, den unsere Seekiste auf dem Frachtschiff erlitten hat.
Jetzt sind sie wieder nass, weil es anfängt zu regnen, und wir müssen sie schnell in den Pulkas verstauen. Zum Glück betrifft das nur die Transportbeutel. Unsere Nahrungsvorräte sind in kleinen wasserdichten Folienverpackungen untergebracht. Sonst hätten wir da draußen jetzt einen riesigen matschigen See aus Pasta mit Lachspesto, Rühreipulver und Beef Stroganoff.
Der Regen wird am Morgen immer stärker, wir beschließen, noch etwas zu warten mit dem Aufbruch. Doch es wird einfach nicht besser, also bauen wir ab und laufen los. Zunächst ist das Gelände angenehm einfach, nur die Wassermassen von oben setzen uns etwas zu. Aber Jacke, Hose und Schuhe halten dicht. Und es ist wärmer als gewöhnlich, vier Grad, da braucht man nicht mal Handschuhe, so sehr hält das Laufen warm.
Schräg rechts vor uns erheben sich drei massige schwarze Nunataks aus dem Boden, Wilfried ist verblüfft über so viel Fels: »Bei unserer ersten Durchquerung haben wir dort nur einen Nunatak gesehen, 2006 waren es zwei, jetzt drei.« So schnell geht hier der Eismantel zurück, so offensichtlich sind die Folgen des Klimawandels. Eine schneereiche Saison, wie sie Robert Peroni beschrieben hat, ändert daran nicht das Geringste.
Das Gelände wirkt mit jedem Kilometer gruseliger. Schneekuppen und Bachquerungen und kein Ende in Sicht. Wir beschließen, die Pulkas nun zu zweit zu ziehen. Der Zweite hilft mit einer zusätzlichen Repschnur und viel Muskeleinsatz beim Bergaufgehen, Lenken und Bremsen. Dann müssen wir zwar zweimal gehen, aber das Material wird auf diese Weise geschont. Tiefe Spalten versperren uns den Weg und Gletschermühlen, kräftige kleine Wasserfälle, die in bodenlose Löcher stürzen.
Natürlich war ich mir vor unserem Aufbruch der klimatischen Veränderungen an den Polen bewusst gewesen. Doch ihre Auswirkungen hatte ich unterschätzt. Ich hatte mir ausgemalt, in eine der wenigen Erdregionen zu gelangen, die sich in 100 Jahren kaum verändert haben und sich erst in der Zukunft spürbar wandeln würden. Dass ich dieses Eis weitestgehend so erleben würde wie mein Opa damals. Doch weit gefehlt: Im Jahr 1912 konnte man ziemlich sicher sein, hier im Juli und August ein gut befahrbares Schneepolster vorzufinden.
Wilfried war vor sechs Jahren zur gleichen Jahreszeit hier, die Route ist kaum wiederzuerkennen: »So heftig habe ich diesen Aufstieg noch nie erlebt«, sagt er. »Mit Hundeschlitten würde um diese Jahreszeit niemand mehr durch dieses Geraffel kommen.«
Überall stoßen wir auf kleine Hügel aus Glassplittereis, das Hunden die Pfoten blutig reißen würde. Außerdem ist es so uneben, dass die Schlitten
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