Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
wegen des stürmischen Temperaments der Tiere dauernd umstürzen würden – so wie das unsere leider auch immer wieder tun.
Als am Nachmittag die Sonne herauskommt, erleben wir einen Ausblick, der enttäuschend und spektakulär zugleich ist. Enttäuschend, weil das Meer mit seinen Eisbergen hinter uns noch sehr nah zu sein scheint, obwohl wir schon mehr als 30 Kilometer gelaufen sind. Und spektakulär, weil der Kontrast von karger Eiswüste und zackiger Uferlandschaft einmalig ist. Unter dem grauen Himmel sorgt ein wolkenfreies helles Band am Horizont dafür, dass die Berge des Sermilik-Fjords im Nordosten in aller Pracht zu sehen sind.
Was für eine verrückte Idee es doch ist, in diese unwirtlichen Eisregionen zu gehen! Stattdessen könnten wir doch auch fünf Wochen lang an der Küste durch diese wunderschöne Bergwelt über den Eisbergen und Fjorden spazieren.
Dort müsste man sich jedenfalls nicht mit Gletscherspalten auseinandersetzen, die nun so haarsträubend in allen Richtungen aufklaffen, dass wir sogar zu dritt einen Pulka halten müssen, während der Vierte vorausgeht, um nach einer befahrbaren Route zu suchen. Dann mit leeren Händen zurück und noch dreimal die gleiche Tour.
»Diesmal meine ich es ernst: Das mache ich nie wieder«, brummt Wilfried. Aus dem Knick in der Ummantelung seines Pulkas ist inzwischen ein feiner Riss geworden. Er stapft voraus mit einem seiner Skistöcke, an dem eine Grönlandfahne flattert. Der Chef dirigiert, die anderen schuften – so ähnlich muss das unter de Quervain oft ausgesehen haben. Schon bei der nächsten Runde packt Wilfried selbst mit an und überlässt Gregor die Routensuche.
In Gedanken nehme ich den historischen Vergleich rasch wieder zurück.
30. Juni 1912
Grönland, Inlandeis, Tagebuch von Roderich Fick
Der Zeltbetrieb ist jetzt sehr geregelt und gemütlich. Auch die Tage verlaufen recht gleichmässig, denn wir sind jetzt im Gebiet des ewigen Pulverschnees, und die Spalten sind verschwunden. Wenn die Reise für einen Tag zu Ende ist, stellen Hoessli und ich das Zelt genau in der Windrichtung auf und verspannen es gut an den Ski, die wir bis zu den Bindungen in den Schnee treiben.
Q. begibt sich sofort hinein und schreit nach seinen Sachen. Zuerst will er seine Kamiken haben, dann die Instrumentenkiste, dann die Schlafsäcke u. s. w., um alles genau einzurichten. Dann gehen die andern 2 auch ins Zelt und schnüren den Eingang gut zu. Ich bleibe draussen und pass mit der Peitsche in der Hand auf, dass die Hunde ruhig bleiben. Man hört draussen, wie im Zelt die Pemikanbüchsen knacken, die Hunde haben den Ton längst erkannt und wissen, dass da für sie der Pemikan zurecht gemacht wird. Sie werden schon ganz gierig und aufgeregt, lecken sich die Mäuler und gucken alle nach dem Zelteingang.
Oft wollen sie, trotzdem sie dann quer an die schweren Schlitten gebunden sind, mit den Schlitten auf das Zelt los, und ich muss sie durch »Ei!« und mit der Peitsche an ihrem Platz halten. Wenn dann die Zelttür aufgeht und der Pemikan erscheint, nützt alles nichts mehr. Sie stürzen dann wie Wölfe auf das Zelt los, und wir müssen so schnell wie möglich die Pemikanklötze möglichst verteilt vom Zelt wegwerfen. Es gelingt aber nicht immer gut, und es entstand einmal ein undefinierbares Knäuel von Hunden, Expeditionern, Schlitten, Zeltstangen, Zelttuch, Pemikanklötzen.
Der Pemikan verschwindet in Bruchteilen einer Minute (höchstens 20 sec) spurlos, und es folgt eine blutige Rauferei von den Hunden. Das Ende ist dann gewöhnlich, dass 2 oder alle 3 Gespanne mit ihren Zugriemen so verfitzt sind, dass einzelne Hunde am Bauch stranguliert mit den Beinen irgendwie nach oben in den Riemen hängen. Manchmal wird einem selbst ein oder beide Beine mit eingeflochten, und man hat eine langwierige Knotenauflöserei mit kalten Fingern. Dann folgt das Schnauzenzubinden.
Die andern haben darauf drin schon den Primus in Betrieb gesetzt, und ich hab den grossen Nansentopf und das Ringgefäss mit Schnee gefüllt. Den geeigneten möglichst dichten Schnee finde ich etwa in 1 / 2 m Tiefe.
Wenn dann die Hunde alle wieder ordnungsmässig an ihren Schlitten festgebunden sind, geh’ ich dann auch ins Zelt, wo es schon gemütlich und angenehm dunkel ist und die Pemikansuppe schon kocht. Ich wärme mir dann die Finger am Kochapparat. Es entsteht gewöhnlich ein Mordsdampf, der oft so dicht wird, dass wir uns gegenseitig gar nicht mehr sehen können.
Eines Tags glaubte
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