Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
sind meistens sehr sachlich, so schmucklos und vorhersehbar wie die Landschaft draußen. Vier müde Arktiswanderer beim Nachtisch im Zelt, die Hörspiel-Version davon wäre das langweiligste Tondokument der Welt. Zum Beweis ein Inlandeis-Abend im O-Ton:
Geräusche: Flattern der Zeltplane, Fauchen des Kochers, gelegentlich metallisches Quietschen der Thermosflaschendeckel und ein »Klonk«, wenn der Deckel auf den Kochtopf schlägt.
Wilfried: »Wärmer oder so?«
Jan: »So ist gut.«
Pause
Jan: »Kannst mal halten?«
Wilfried: »Reinkippen?«
Jan: »Mh hm.
«
Wilfried: »Das waren doch niemals 400 Milliliter Wasser.«
Gregor: »Ganz schön dünn geworden, ne?«
Wilfried: »Das wird noch fest, wenn man‘s stehen lässt.«
Pause
Wilfried: »Das war zu wenig. Aber das wird schon.«
Letzter gemeinsamer Tagesordnungspunkt ist die Planung des nächsten Tages. »17,6 Kilometer bis Camp 8«, sagt Wilfried nach einem Blick auf sein GPS-Display. Ich packe den Laptop aus, per Satellitentelefon schicke ich einen Text und fünf Fotos an die Redaktion in Hamburg, ein paar Stunden später werden sie veröffentlicht. Ein Foto in winziger Auflösung dauert 15 Minuten, so schlecht ist die Datenverbindung. Schlecht ist allerdings relativ: De Quervain brauchte vier Monate, bis sein erster Text in der »Neuen Zürcher Zeitung« erschien.
Dann, endlich: ins Zelt. Schlafbrille auf, arktische Nächte sind hell. Ohrstöpsel rein, arktische Stürme sind laut. Selbst Zelte, die so viel kosten wie ein Moped, flattern bei Windstärke sechs mit einem Höllenlärm. Abschalten, Beine warm rubbeln, schlafen. Schlafen, so lange es geht: bis der Kondenswasser-Nieselregen auf die Stirn tropft.
13. Juli 1912
Grönland, Inlandeis, Tagebuch Alfred de Quervain
Der Mann, der voraus geht, sieht nach vorn nichts als etwa seine schwarzen Skispitzen; nach rückwärts aber im Schneetreiben verschwindend undeutliche schwarze Knäuel: die drei Schlitten. Obschon sie sich ganz nahe halten, sind meist nur die Köpfe der Führer zu sehen, und manchmal verschwindet alles auf 20 – 40 Meter Entfernung. Alle haben lange Eiszapfen am Kinn; ich konnte gestern meine Kapuze erst nach einer halben Stunde im Zelt lösen; Bart, Kinn, Kapuze, alles ein Eisstück. Wir fütterten die Hunde gestern zum erstenmal nach der neuen Methode, noch in Marschordnung; es ging sonst nicht mehr; sie haben uns und das Zelt gestern fast umgebracht. Wir haben sie diese Nacht freigelassen und die Geschirre mit ins Zelt genommen. Das ging gut. Nur dass sie dem Zelt gelegentlich kleine, liebe Besuche machen, worauf dann der benachbarte Zeltbewohner etwas wie »Sauhund« brummt und hastig von der Wand abrückt.
Heute morgen klärt es ein wenig auf. Da das Barometer während des letzten Tagesmarsches mehr stieg als plausibel, sind wir gespannt auf die Horizontalaufnahme. Fick ist gerade daran.
Eben ruft er ins Zelt: Nach vorn Sinken, um acht Bogenminuten! Ich muss hinaus –
Später. – Ja wahrhaftig. Es stimmte! Wir haben endlich den höchsten Punkt dieser Riesenwölbung überschritten.
Daraufhin nehme ich zum erstenmal seit Mercantons und Josts Abschied die seidene Schweizerfahne und die Bernerfahne hervor, und wir hissen sie an der grossen Sondierstange. Dieser Platz soll »Abwärts« heissen. So war also die grösste Höhe des Inlandeises hier so weit nach Osten gerückt, dass wir sie erst nach zwei Dritteln des Weges erreichten. Das hatte man nicht erwartet!
17. August 2012
Grönland, Inlandeis
Plötzlich besteht der Horizont in allen vier Himmelsrichtungen nur noch aus einer Eislinie. Kein Meer und keine Bergspitzen sind zu sehen, nur noch hellblauer Himmel und weißes Eis.
Es ist ein Anblick, der die menschlichen Sinne gleichzeitig über- und unterfordert. Ich wünsche mir sechs Augen, um die komplette hellblaue Himmelshalbkugel erfassen zu können. Immer wieder wende ich beim Gehen den Kopf nach links und rechts. Das hier ist das Gegenteil eines Berggipfels, das ultimative Tal. Eine gigantische weiße Platte, an deren Horizont man deutlich die Erdkrümmung erkennen kann. Wenn ein Flugzeug auf dem Weg von Europa nach Nordamerika seinen Kondensstreifen in den Himmel malt, kommt dabei keine Linie, sondern ein Halbkreis heraus. Seeleute kennen das Gefühl, exakt der Mittelpunkt eines riesigen Horizontkreises zu sein, von windstillen Tagen auf dem Meer. Doch mit festem Boden unter den Füßen gibt es so etwas nur in der Eiswüste.
Vertikale Linien fehlen komplett,
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