Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
meinen Befehlen immer dran, dass ich den Betreffenden nicht zu sehr in Gefahr und Anstrengungen bringe und wenn ich einen eben mal auf eine scharfe Patrouille schicken muss, so leide ich da drunter und denke: ›Den schicke ich in Gefahr, und bleibe selber zurück.‹ ... Ich wundere mich, mit welcher Selbstverständlichkeit die andern Offiziere die Untergebenen als Menschen 2ter Klasse behandeln und ansehen, und wie sie nach oben ›gehorsamst‹ sind. – Beides ›bring‹ ich nicht! ... Die Untergebenen haben natürlich schnell meine schwachen Punkte raus und nützen meine Schwäche häufig aus.« Die Situation eskaliert so weit, dass die afrikanischen Soldaten in seiner Kompanie (die Schutztruppe bestand aus ein paar Dutzend Deutschen und Hunderten Kamerunern) schließlich den Gehorsam verweigern, eine Meuterei anzetteln und sich aus dem Staub machen. Die Deutschen folgen ihnen, können sie aber nicht einholen. »Wir erreichten noch einen Platz, wo die Meuterer gehalten haben mussten. Da lagen erbrochene Tropenkoffer, und ich erkannte auch meinen darunter«, schreibt Roderich. »Er war offen und leer. Drum herum lagen überall zerstreut meine Briefschaften. Ich sammelte davon, was ganz war; denn vieles war sorgfältig in kleine Fetzen zerrissen, so auch das 2te Grönlandtagebuch. Auch einige Lichtbilder waren zerrissen, andere fehlten. Das vom Vater in Uniform von 1914 war auch weg. Geld, Uniformen und Wäsche waren spurlos verschwunden! Das erste Grönlandtagebuch fand ich unversehrt wieder. Mein Bargeld war natürlich auch weg.«
Ich muss innehalten beim Lesen: Um ein Haar wäre das Tagebuch für immer verloren gewesen. Dieser Schatz aus Papier und Tusche, meine Eintrittskarte ins Abenteuer und in den Kopf meines Opas, hat nur durch Zufall den Krieg in Kamerun überstanden, lag stundenlang im Dschungel von Kamerun herum. Und ich habe mir Sorgen gemacht, als meine Mutter das »scheissende Rabenbüchli« letztes Jahr in der Plastiktüte mit zum Trekking nach Grönland nahm.
Am Nachmittag steigen wir noch auf die schwarze Bergkuppe direkt vor unserem Zeltplatz. Opas Steinmann steht noch. Ich hinterlasse in einer leeren Vitamintabletten-Plastikhülse eine Nachricht zwischen den Felsbrocken. Gute Arbeit, sehr stabil, der Erbauer war ja Architekt und kannte sich mit Statik aus.
Der Blick auf den Sermilik-Fjord phänomenal. Ich stehe neben Opas Leuchtturm und blicke auf Opas Berg, Ficks Bjerg, im Abendlicht. Und plötzlich sehe ich es de Quervain nach, dass er diesen Berg ausgewählt hat und keinen der spektakulären Gipfel auf der anderen Fjordseite. Er mag nach außen hin keine Schönheit sein, doch dieser Berg bedeutete den Männern etwas. An seiner Flanke entlang führte der Weg zurück ins Leben: ein langer zerklüfteter Finger, ein ewiger Wegweiser, der nach Südosten deutet. Vom Eis weg aufs offene Meer.
22. Juli 1912
Ostgrönland, Tagebuch Roderich Fick
Anfangs waren wir insofern vorsichtig und rücksichtsvoll gegen die Hunde, indem wir den zum Schlachten bestimmten erst eine ganze Strecke weit von den anderen weg hinter einem Moränenklotz angebunden erschossen. Hoessli wollte nicht schiessen und so musste ich das machen. Zuerst kannte ich die Anatomie des Hunds nicht und schoss zu tief durch den Schädel, dass grausame Szenen vorgekommen sind.
Ein so schlecht getroffener Hund schrie und wälzte sich rasend am Boden rum, dass der 2te Schuss garnicht so leicht anzubringen war. Beim Schlachten kamen aber schon die andern Hunde an und waren schwer abzuhalten über den toten herzufallen und sich satt zu fressen oder lieber noch zu überfressen. Am meisten waren sie auf den Kopf aus.
Den Kopf schnitten wir gewöhnlich ab und überliessen ihn den Hunden, die sich darum zankten. Ich habe vergeblich versucht, eine Aufnahme zu machen, wie Mons mit dem von den anderen Hunden eroberten Kopf im Maul abzog!
Bei solch roher Fressgier waren wir dann nicht mehr so rücksichtsvoll, und ich schoss den ausgesuchten Hund zwischen den andern drin aus der Entfernung. Dann hatten wir Mühe, die andern abzuhalten, dass sie drüber herfielen, und gewöhnlich fingen sie immer am Kopf des Toten an abzufressen. Wir nahmen die Felle ab und machten uns damit unser Zeltlager weicher.
Die ausgeweideten Hunde wurden in Steingräbern aus Moränenblöcken aufbewahrt. Die Eingeweide kriechten die Hunde zu fressen.
Diese scheusslichen Scenen und widerlichen Arbeiten wiederholten sich täglich und wurden durch einen immer stärker
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