Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
Bormann hatte ich insofern Differenzen, als dass er von mir verlangte, dass ich nachdem ich das Hotel ›Platterhof‹ fertig gebaut habe, auch dort noch ein Laden- und Postgebäude baue. Das Baugelände liess es nicht zu und Bormann wollte das nicht einsehen. Ich habe ihm kurz darauf geschrieben, ich möchte von meinen Bauten auf dem Obersalzberg zurücktreten. Ich habe Entlassung bekommen, sogar in beleidigender Form«, sagt mein Großvater später vor der Spruchkammer X in München. »Ich habe zu Hitler gesagt, dass ich auf dem Obersalzberg nicht weiterarbeiten kann, da ich die Behandlungsweise Bormanns nicht vertrage.«
Nun kann er sich ganz auf ein zweites Großprojekt konzentrieren. Auf Hitlers Wunsch übernimmt er als Reichsbaurat einen ambitionierten Bauplan für die »Führerstadt Linz«. In dieser Position ist er Hitler direkt unterstellt, allein im Jahr
1939 finden zwölf persönliche Besprechungen statt. Aus der Stadt, in der der Diktator seine Jugend verbracht hat, soll ein »deutsches Budapest« entstehen. Entlang der Donau wünscht Hitler sich eine Prachtstraße mit Galerien, einer Oper, einem Schauspielhaus und dem »Führermuseum« – der größten Kunst- und Gemäldesammlung der Welt.
Mein Großvater muss erneut sein Büro vergrößern, bald bekommt er als Arbeitsstätte ein Schloss zugewiesen, Tillysburg in Oberösterreich. Er beschäftigt nun etwa 100 Mitarbeiter. Und hat neue Feinde: die Linzer Behörden, deren Macht durch seine Einberufung beschnitten wird, und den Linzer Reichsstatthalter August Eigruber.
Auch Bormann macht weiter keinen Hehl daraus, dass er den Reichsbaurat für eine Fehlbesetzung hält. In den folgenden Jahren kommt es immer wieder zu Streit, die Kompetenz und Führungsqualitäten des Architekten werden angezweifelt. Zudem engagiert er sich nicht in der Partei, was ihn bei manchen Funktionären von vornherein verdächtig macht.
Tatsächlich überfordert ihn die Aufgabe: Weil mein Großvater künstlerisch keine Kompromisse eingehen will, verstrickt er sich immer wieder in Details, anstatt sich um das große Ganze zu kümmern, außerdem fehlt es ihm an Durchsetzungsfähigkeit. Er ist Künstler, kein Politiker oder Geschäftsmann, kein Verhandlungsprofi. Und plötzlich hat er es mit Politstrategen zu tun, die das Instrumentarium der Machtspiele und Intrigen perfekt beherrschen. Fick treffe keine Entscheidungen und seine Anweisungen seien oft »unpraktisch, unwirtschaftlich, unklar und verworren«, berichtet Eigruber an Bormann. Der Architekt wendet sich nun immer wieder hilfesuchend an Hitler. Doch auch dessen Unterstützung schwindet mit der Zeit, weil auch er merkt, dass Fick mit seinem dezenten Stil für Monumentalbauten nicht der Richtige ist.
Er beauftragt den Architekten Hermann Giesler, der schon für den Ausbau der Stadt München zuständig ist, die protzigeren Bauten in Linz und viele Aufgaben des Reichsbaurats zu übernehmen. Das Amt behält mein Großvater trotzdem bis zum Kriegsende, obwohl er nun nur noch wenig Einfluss hat.
Vielleicht bedeutet die Entmachtung nach all den Kämpfen eine Erleichterung. Eine seiner in dieser Zeit ziemlich spärlichen Tagebuchnotizen aus dem Jahr 1944 bestätigt das: »Die Ablenkung durch Überarbeitung, die mir lange Zeit willkommen war, ist mir nicht mehr erwünscht. So befasse ich mich mit Gedanken, beruflich allerhand aufzugeben und nach dem Krieg die große berufliche Aufgabe als Reichsbaurat, die mir ja garnicht liegt, aufzugeben und nur noch die Hochschule und einige wenige besonders schöne Bauten zu machen. Dann möchte ich das nachholen, was ich in meiner Jugend an wissenschaftlicher Bildung und Kunststudium versäumt habe.«
Mit der Hochschule ist es jedoch nach Kriegsende vorbei: Die Anstellung als Professor verliert er 1945 wegen seiner Rolle unter den Nationalsozialisten, als Architekt wird er mit einem Berufsverbot belegt. Erst drei Jahre später stuft ihn ein Spruchkammerverfahren als »Mitläufer« ein. Nach Zahlung einer Geldstrafe von 1500 Mark darf er wieder als freischaffender Architekt arbeiten.
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22. Juli 1912
Grönland, Ostküste
Morgens um halb vier brechen de Quervain und Gaule auf, es weht ein leichter Wind aus Nordnordwest, die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt. Ein Zelt nehmen sie nicht mit, dafür Pemmikan und Kondensmilch für drei Tage, Notrationen für zwei weitere Tage und eine geladene Browningpistole für Eisbären. Und eine handgezeichnete Kartenskizze voller Fehler, die
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