Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Titel: Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Orth
Vom Netzwerk:
sei. Nicht so viel essen, dann frisst der zuerst einen der anderen. Laut schreien und mit den Armen wedeln. Mit einem Foto der Berliner Zoo-Eisbären-Legende Knut wedeln und »Friend, friend« rufen.
    Oder auf einen Baum klettern. Wegrennen. Totstellen. Singen und in die Hände klatschen. In eine Trillerpfeife pusten. Mit Pfefferspray einsprühen. Schneebälle werfen. Noch ein paar schöne Fotos und Filmaufnahmen machen, für die Nachwelt. Oder filmen und »die Kontrolle behalten«, wie das zwei Norweger in einem völlig irren YouTube-Video nennen, die eine Eisbärenmutter bis auf drei Meter an sich heranlassen, bevor sie sie mit der Signalpistole verjagen.
    Eine Signalpistole haben wir dabei, auf Bären sind wir also halbwegs vorbereitet. Worauf wir dagegen nicht eingestellt sind, das ist der Überfall eines kleptomanisch veranlagten Blaufuchses.
    Der hoppelt jetzt gerade mitten in der Nacht mit meinem orangefarbenen Löffel-Gabel-Utensil davon. Um die Szene noch etwas stimmungsvoller zu machen, hat die Natur ein paar Polarlichter vorbereitet, die mattgrün über den Himmel flackern. Für einen solchen Fall hat mir leider niemand schlaue Tipps gegeben. Gregor und ich geben kein sehr souveränes Bild ab, wie wir in langen Unterhosen dem grau befellten Schelm hinterherrennen. Natürlich entkommt das flinke Jungtier problemlos in Richtung Hang.
    Aus irgendeinem Grund hatte der Fuchs es vor allem auf meine Sachen abgesehen. Die Gummihalterung meiner Trinkflasche hat er durchgebissen, lange schnüffelte er interessiert an meinen Skistöcken herum. Ob er sich rächen will? Wahrscheinlich hat mein Opa vor 100 Jahren auf seinen Urahn geschossen.
    In seinem Tagebuch erwähnt er, an Zeltplatz 29 einmal einen Blaufuchs gesichtet zu haben. Von dem Ort sind wir nun etwa 800 Höhenmeter entfernt, auf Meereshöhe haben wir am Hundefjord unsere Zelte aufgeschlagen. Zum zweiten Mal wohne ich für ein paar Tage am Fuße von Ficks Bjerg.
    Wie wertvoll ein Löffel ist, merkt man erst, wenn er fehlt. Ist nämlich schwer zu ersetzen. Der Schneeteller am Skistock? Zu viele Löcher drin. Der Kaffeebecherdeckel? Nicht mundgerecht dimensioniert. Die Taschenmesserschneide? Für Kartoffelbrei in Ordnung, große Nachteile allerdings bei Suppengerichten.
    Klar kann ich mir einfach einen Löffel ausleihen und später als die anderen essen. Das geht bei den meisten Gerichten, nur nicht beim Mousse au Chocolat, das wir uns immer gemeinsam aus einem großen Topf in die hungrigen Mäuler schaufeln. Ergo: Wer langsam löffelt, kriegt weniger ab. Wer keinen Löffel hat, guckt zu.
    Not macht erfinderisch, also kratze ich am nächsten Abend mit einem goldenen Zelthering die Schokomasse aus dem Topf. Geht ganz gut, etwas störend ist nur der metallische Beigeschmack.
    Während der Blaufuchs mit meinem signalfarbenen Essutensil einen guten Fang gemacht hat, sind wir leider weniger erfolgreich. Auf 153 Höhenmetern soll sich laut den Aufzeichnungen der Schweizer Expedition ein Steinplateau nicht weit von einem Fluss befinden. Exakt an der Stelle, wo damals der Schnee aufhörte. Heute liegt hier längst keiner mehr. Mein Opa schreibt, es seien von dort 15 bis 20 Gehminuten bis zum Ufer, was aber untertrieben sein muss, denn so schnell kommt man nicht mal auf 100 Höhenmeter. Dort haben die Schweizer damals nach dem Abstieg von Zeltplatz 29
alles »bären- und hundesicher« hinter Steinen verstaut, was sie nicht mehr brauchten: ihre Schlitten und viele Dosen Pemmikan. Dann stiegen sie ab zum Ufer, um mit einem abenteuerlichen Wasserfahrzeug aus vier zusammengebundenen Kajaken in Richtung Fjord zu fahren.
    Woran erkennt man, ob ein Haufen Geröll auf natürlichem Wege oder von Menschen dahin befördert wurde? Wir suchen zu viert, stundenlang, mit unterschiedlicher Taktik: Wilfried und Gregor gehen die Sache mit einem geografischen Disput über Gletscherbewegungen und Gesteinsformationen an, Jan und ich laufen einfach los. Welcher Ansatz besser ist, Logik oder Intuition, Gehirn oder »Geh hin!«, kann leider nicht bewiesen werden. Keiner findet die geringste Spur, obwohl wir sicher sind, am richtigen Ort zu sein.
    Wir überdenken noch einmal die Informationen, die wir haben. »Wenn die das tiersicher versiegelt haben, muss das einen Grund haben«, sagt Wilfried. »Wahrscheinlich sollte es ihnen als Notfallproviant dienen, sie waren ja noch nicht in Sicherheit.« Jan wirft ein, dass es möglicherweise für die Leute im Dorf gedacht war. »Die konnten Schlitten

Weitere Kostenlose Bücher