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Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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machten. Gerade das also, was der Brite bei seinem organischen Schaffen des Dramas aus innen als äußeres Moment noch unbeachtet ließ, ward zur, von außen her gestaltenden, Norm für das französische Drama, das so aus dem Mechanismus heraus sich in das Leben hinein zu konstruieren suchte.
    Wichtig ist es nun, genau zu beachten, wie diese äußerliche Einheit der Szene die ganze Haltung des französischen Dramas dahin bedang, daß die Darstellung der Handlung fast ganz von dieser Szene ausgeschlossen und dafür nur der Vortrag der Rede in ihr zugelassen wurde. Somit mußte auch grundsätzlich der von Handlung strotzende Roman, das poetische Grundelement des mittelalterlichen und neueren Lebens, von der Darstellung auf dieser Szene ausgeschlossen bleiben, da die Vorführung seines vielgliederigen Stoffes ohne häufige Verwandelung der Szene geradesweges unmöglich war. Also nicht nur die äußerliche Form, sondern auch der ganze Zuschnitt der Handlung, und mit ihm endlich der Gegenstand der Handlung selbst, mußte den Mustern entnommen werden, die für die Form den französischen Schauspieldichter bestimmt hatten. Er mußte Handlungen wählen, die nicht erst von ihm zu einem gedrängten Maße dramatischer Darstellungsfähigkeit verdichtet zu werden brauchten, sondern solche, die bereits zu einem solchen Maße verdichtet ihm vorlagen.
    Aus ihrer heimischen Sage hatten die griechischen Tragiker sich solche Stoffe, als höchste künstlerische Blüte dieser Sage, verdichtet: der moderne Dramatiker, der von den äußerlichen Regeln ausging, die jenen Dichtungen entnommen worden waren, konnte das poetische Lebenselement seiner Zeit, das nur in der geradezu umgekehrten Weise Shakespeares zu bewältigen war, nicht zu der Dichtigkeit zusammendrängen, daß es dem äußerlich aufgelegten Maße entsprochen hätte, und nichts als die – natürlich entstellende – Nachahmung und Wiederholung jener schon fertigen Dramen blieb ihm daher übrig. In Racines »Tragédie« haben wir somit auf der Szene die Rede, hinter der Szene die Handlung; Beweggründe mit davon abgelöster und außerhalb verlegter Bewegung, Wollen ohne Können. Alle Kunst warf sich daher auch nur auf die Äußerlichkeit der Rede , die ganz folgerichtig in Italien (von woher der neue Kunstgenre ausgegangen war) auch alsbald sich in jenen musikalischen Vortrag verlor, den wir bereits umständlicher als den eigentlichen Inhalt des Opernwesens kennengelernt haben. Auch die französische Tragödie ging mit Notwendigkeit in die Oper über: Gluck sprach den wirklichen Inhalt dieses Tragödienwesens aus. Die Oper war somit die vorzeitige Blüte einer unreifen Frucht, auf unnatürlichem, künstlichem Boden gewachsen. Womit das italienische und französische Drama begann , mit der äußeren Form, dazu soll das neuere Drama durch organische Entwickelung aus sich heraus, auf dem Wege des Shakespeareschen Dramas, erst gelangen, und dann auch erst wird die natürliche Frucht des musikalischen Dramas reifen.
    Zwischen diesen zwei äußersten Gegensätzen, dem Shakespeareschen und dem Racineschen Drama, erwuchs nun aber zunächst das moderne Drama zu seiner zwitterhaften, unnatürlichen Gestalt und Deutschland war der Boden, von dem sich diese Frucht nährte.
    Hier bestand der romanische Katholizismus in gleicher Stärke neben dem germanischen Protestantismus fort: nur wurden beide in einen so heftigen Konflikt miteinander verwickelt, daß, unentschieden wie er trotzdem blieb, eine natürliche Kunstblüte sich nicht aus ihm entfaltete. Der innerliche Drang, der sich bei dem Briten auf die dramatische Darstellung der Historie und des Romanes warf, blieb beim deutschen Protestanten im hartnäckigen Bemühen, den innerlichen Zwiespalt selbst innerlich zu schlichten, haften. Wir haben einen Luther , der sich in der Kunst wohl bis zur religiösen Lyrik erhob, aber keinen Shakespeare. Der römisch-katholische Süden konnte jedoch nie zu dem genial leichtsinnigen Vergessen des innerlichen Zwiespaltes sich aufschwingen, in welchem die romanischen Nationen sich zur bildenden Kunst anließen: mit finsterem Ernste bewachte er seinen religiösen Wahn. Während ganz Europa sich auf die Kunst warf, blieb Deutschland ein sinnender Barbar. Nur was sich draußen bereits überlebt hatte, flüchtete sich nach Deutschland, um in seinem Boden noch zu einem Nachsommer zu erblühen. Englische Komödianten, denen die Darsteller der Shakespeareschen Dramen daheim ihr Brot entzogen hatten, kamen nach

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