Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oper und Drama

Oper und Drama

Titel: Oper und Drama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
Vom Netzwerk:
enthüllen, nämlich die: daß wir kein Drama haben und kein Drama haben können ; daß unser Literatur-Drama vom wirklichen Drama gerade so weit entfernt steht als das Klavier vom symphonischen Gesang menschlicher Stimmen; daß wir im modernen Drama nur durch die ausgedachteste Vermittelung literarischer Mechanik zur Hervorbringung von Dichtkunst wie auf dem Klaviere durch komplizierteste Vermittelung der technischen Mechanik zur Hervorbringung von Musik gelangen können – das heißt aber – einer seelenlosen Dichtkunst, einer tonlosen Musik. –
    Mit diesem Drama hat allerdings die wahre Musik, das liebende Weib, nichts zu schaffen. Die Kokette kann sich diesem spröden Manne nahen, um ihn in die Netze ihrer Gefallsucht zu verstricken; die Prüde kann sich an den Impotenten anschließen, um sich mit ihm in Gottseligkeit zu ergehen; die Buhlerin läßt sich von ihm bezahlen und verlacht ihn: das wahrhaft liebessehnsüchtige Weib wendet sich aber ungerührt von ihm ab! –
    Wollen wir nun näher erforschen, was dieses Drama impotent machte, so haben wir den Stoff genau zu ergründen, von dem es sich ernährte. Dieser Stoff war, wie wir ersahen, der Roman , und auf das Wesen des Romanes müssen wir daher nun bestimmter eingehen.

[ II ]
    Der Mensch ist auf zwiefache Weise Dichter: in der Anschauung und in der Mitteilung .
    Die natürliche Dichtungsgabe ist die Fähigkeit, die seinen Sinnen von außen sich kundgebenden Erscheinungen zu einem inneren Bilde von ihnen sich zu verdichten; die künstlerische , dieses Bild nach außen wieder mitzuteilen.
    Wie das Auge die entfernter liegenden Gegenstände nur in immer verengtem Maßstabe aufzunehmen vermag, kann auch das Gehirn des Menschen, der Ausgangspunkt des Auges nach innen, an dessen durch den ganzen inneren Lebensorganismus bedingte Tätigkeit dieses die aufgenommenen äußeren Erscheinungen mitteilt, zunächst sie nur nach dem verjüngten Maße der menschlichen Individualität erfassen. In diesem Maße vermag aber die Tätigkeit des Gehirnes die ihm zugeführten, nun von ihrer Naturwirklichkeit losgelösten Erscheinungen zu den umfassendsten neuen Bildern zu gestalten, wie sie aus dem doppelten Bemühen, sie zu sichten oder im Zusammenhange sich vorzuführen, entstehen, und diese Tätigkeit des Gehirnes nennen wir Phantasie .
    Das unbewußte Streben der Phantasie geht nun dahin, des wirklichen Maßes der Erscheinungen innezuwerden, und dies treibt sie zur Mitteilung ihres Bildes wieder nach außen, indem sie ihr Bild, um es der Wirklichkeit zu vergleichen, dieser gewissermaßen anzupassen sucht. Die Mitteilung nach außen vermag aber nur auf künstlerisch vermitteltem Wege vor sich zu gehen; die Sinne, welche die äußeren Erscheinungen unwillkürlich aufnahmen, bedingen, zur Mitteilung des Phantasiebildes wiederum an sie, die Abrichtung und Verwendung des organischen Äußerungsvermögens des Menschen, der sich verständlich an diese Sinne mitteilen will. Vollkommen verständlich wird das Phantasiebild in seiner Äußerung nur, wenn es sich in eben dem Maße wieder an die Sinne mitteilt, in welchem diesen die Erscheinungen ursprünglich sich kundtaten, und an der seinem Verlangen endlich entsprechenden Wirkung seiner Mitteilung wird der Mensch erst des richtigen Maßes der Erscheinungen insoweit inne, als er dies als das Maß erkennt, in welchem die Erscheinungen dem Menschen überhaupt sich mitteilen. Niemand kann sich verständlich mitteilen als an die, welche die Erscheinungen in dem gleichen Maße mit ihm sehen: dieses Maß ist aber für die Mitteilung das verdichtete Bild der Erscheinungen selbst, in welchem diese sich den Menschen erkenntlich darstellen. Dieses Maß muß daher auf einer gemeinsamen Anschauung beruhen, denn nur was dieser gemeinsamen Anschauung erkenntlich ist, läßt sich ihr künstlerisch wiederum mitteilen: ein Mensch, dessen Anschauung nicht die gemeinsame ist, kann sich auch nicht künstlerisch kundgeben. – Nur in einem beschränkten Maße innerer Anschauung vom Wesen der Erscheinungen hat sich seit Menschengedenken bisher der künstlerische Mitteilungstrieb bis zur Fähigkeit überzeugendster Darstellung an die Sinne ausbilden können: nur der griechischen Weltanschauung konnte bis heute noch das wirkliche Kunstwerk des Dramas entblühen. Der Stoff dieses Dramas war aber der Mythos , und aus seinem Wesen können wir allein das höchste griechische Kunstwerk und seine uns berückende Form begreifen.
    Im Mythos erfaßt die

Weitere Kostenlose Bücher