Oper und Drama
Gesellschaft einzig selbst bedingte Kraft, welche die Spezialität des Gefühles nach seiner Gattung zu erkennen, in ihr wiederzufinden und aus ihr sie wiederum zu rechtfertigen weiß. Er ist somit auch fähig, zur Äußerung durch das Gefühl sich anzulassen, wenn es ihm darum zu tun ist, dem nur Gefühlvollen sich mitzuteilen – und die Liebe leiht ihm dazu die Organe. Er weiß durch das Gefühl der Liebe, welches ihn zur Mitteilung drängt, daß dem leidenschaftlichen, im unwillkürlichen Handeln Begriffenen nur das verständlich ist, was sich an sein Gefühl wendet: wollte er sich an seinen Verstand wenden, so setzte er das bei ihm voraus, was er durch seine Mitteilung sich eben selbst erst gewinnen soll, und müßte unverständlich bleiben. Das Gefühl faßt aber nur das ihm Gleiche, wie der nackte Verstand – als solcher – sich auch nur dem Verstande mitteilen kann. Das Gefühl bleibt bei der Reflexion des Verstandes kalt: nur die Wirklichkeit der ihm verwandten Erscheinung kann es zur Teilnahme fesseln. Diese Erscheinung muß das sympathetisch wirkende Bild des eigenen Wesens des unwillkürlich Handelnden sein, und sympathetische Wirkung bringt es nur hervor, wenn es sich in einer Handlung ihm darstellt, die sich aus demselben Gefühle rechtfertigt, welches er aus dieser Handlung und Rechtfertigung als sein eigenes mitfühlt. Aus diesem Mitgefühle gelangt er ebenso unwillkürlich zum Verständnisse seines eigenen individuellen Wesens, wie er an den Gegenständen und Gegensätzen seines Fühlens und Handelns, an denen im Bilde sein eigenes Fühlen und Handeln sich entwickelte, auch das Wesen dieser Gegensätze erkennen lernte, und zwar dadurch, daß er, durch lebhafte Sympathie für sein eigenes Bild aus sich herausversetzt, zur unwillkürlichen Teilnahme an dem Fühlen und Handeln auch seiner Gegensätze hingerissen, zur Anerkennung und Gerechtigkeit gegen sie, die nicht mehr seiner Befangenheit im wirklichen Handeln gegenüberstehen, bestimmt wird.
Nur im vollendetsten Kunstwerke, im Drama , vermag sich daher die Anschauung des Erfahrenen vollkommen erfolgreich mitzuteilen, und zwar gerade deswegen, weil in ihm durch Verwendung aller künstlerischen Ausdrucksfähigkeiten des Menschen die Absicht des Dichters am vollständigsten aus dem Verstande an das Gefühl, nämlich künstlerisch an die unmittelbarsten Empfängnisorgane des Gefühles, die Sinne , mitgeteilt wird. Das Drama unterscheidet sich als vollendetstes Kunstwerk von allen übrigen Dichtungsarten eben dadurch, daß die Absicht in ihm durch ihre vollständigste Verwirklichung zur vollsten Unmerklichkeit aufgehoben wird. wo im Drama die Absicht, d. h. der Wille des Verstandes, noch merklich bleibt, da ist auch der Eindruck ein erkältender; denn wo wir den Dichter noch wollen sehen, fühlen wir, daß er noch nicht kann . Das Können des Dichters ist aber das vollkommene Aufgehen der Absicht in das Kunstwerk, die Gefühlswerdung des Verstandes . Nur dadurch erreicht er seine Absicht, daß er die Erscheinungen des Lebens nach ihrer vollsten Unwillkür vor unseren Augen versinnlicht, also das Leben selbst aus seiner Notwendigkeit rechtfertigt; denn nur diese Notwendigkeit vermag das Gefühl zu verstehen, an das er sich mitteilt.
Vor dem dargestellten dramatischen Kunstwerke darf nichts mehr dem kombinierenden Verstande aufzusuchen übrigbleiben: jede Erscheinung muß in ihm zu dem Abschlusse kommen, der unser Gefühl über sie beruhigt; denn in der Beruhigung des Gefühles, nach seiner höchsten Erregtheit im Mitgefühl, liegt die Ruhe selbst, die uns unwillkürlich das Verständnis des Lebens zuführt. Im Drama müssen wir Wissende werden durch das Gefühl . Der Verstand sagt uns: So ist es , erst wenn uns das Gefühl gesagt hat. So muß es sein . Dies Gefühl wird sich aber nur durch sich selbst verständlich: es versteht keine andere Sprache als seine eigene. Erscheinungen, die uns nur durch den unendlich vermittelnden Verstand erklärt werden können, bleiben dem Gefühle unbegreiflich und störend. Eine Handlung kann daher nur dann im Drama erklärt werden, wenn sie dem Gefühle vollkommen gerechtfertigt wird, und die Aufgabe des dramatischen Dichters ist es somit, nicht Handlungen zu erfinden, sondern eine Handlung aus der Notwendigkeit des Gefühles der Art zu verständlichen, daß wir der Hülfe des Verstandes zu ihrer Rechtfertigung gänzlich entbehren dürfen. Sein Hauptaugenmerk hat der Dichter daher auf die Wahl der Handlung zu
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