Operation Amazonas
murmelte er.
Kouwe meldete sich zu Wort. »Dr. Favre …, wenn Sie mir eine Bemerkung gestatten würden.«
Nate krampfte die Finger um die Flinte. Er hatte den Namen auf Anhieb wieder erkannt. Sein Vater hatte ihm von den Grausamkeiten eines gewissen Louis Favre berichtet. Er war das Schreckgespenst des Amazonas, ein Ungeheuer, das von seinem Vater aus der Gegend vertrieben worden war. Und jetzt war es auf einmal wieder aufgetaucht.
»Was gibt’s denn, Professor?«, fragte Favre irritiert.
»Das war Kelly O’Brien. Sie hält bei ihrem verletzten Bruder Wache. Wenn sie sagt, Nate ist nicht dort oben, dann stimmt es auch.«
Favre blickte stirnrunzelnd auf die Uhr. »Wir werden sehen.« Er hob erneut das Megaphon. »Noch zehn Sekunden!« Er streckte die Hand aus und man legte ihm eine tückische Waffe hinein: eine geschwungene Machete, so lang wie eine Sense. Trotz des Qualms in der Luft funkelte sie hell – offenbar war sie frisch geschärft.
Favre beugte sich vor und setzte die gebogene Klinge unter Anna Fongs Kinn an, dann hob er wieder das Megaphon an die Lippen. »Die Zeit ist abgelaufen, Nathan! Ich war so großzügig, Ihnen zwei Minuten Zeit zu gewähren. Von jetzt an kostet jede Minute einem Ihrer Freunde das Leben. Kommen Sie her, dann bleibt ihnen dieses Schicksal erspart! Das gelobe ich als Gentleman und Franzose.« Favre zählte die letzten Sekunden ab. »Fünf … vier …«
Nathan zermarterte sich den Kopf nach einem Plan, irgendeiner Idee. Er wusste, dass auf Louis Favres Wort kein Verlass war.
»Drei … zwei …«
Es blieben ihm nur noch Sekunden, um sich eine Alternative zur Aufgabe auszudenken.
»Eins …«
Es fiel ihm keine ein.
»Das war’s.«
Nathan richtete sich auf. Die Schrotflinte über den Kopf erhoben trat er aus der Deckung. »Sie haben gewonnen!«, rief er.
Favre richtete sich vor der knienden Anna auf und hob eine Braue. »Oh, mon petit homme , da haben Sie mich aber erschreckt! Was haben Sie denn da die ganze Zeit gemacht?«
Tränen strömten Anna übers angstverzerrte Gesicht.
Nate warf die Schrotflinte weg. »Sie haben gewonnen«, wiederholte er. Söldner umringten ihn.
Favre lächelte. »Ich gewinne immer.« Sein amüsiertes Lächeln verzerrte sich fratzenhaft.
Ehe jemand reagieren konnte, drehte Favre sich in der Hüfte, holte mit aller Kraft aus und schwenkte wieder zurück.
Blut spritzte empor.
Der Kopf seines Opfers war säuberlich abgetrennt worden.
»Manny!«, rief Nate und sank erst auf die Knie, dann fiel er auf die Hände.
Der Leichnam seines Freundes kippte nach hinten.
Anna schrie auf und sank ohnmächtig gegen Kouwe.
Favre, der Nate den Rücken zuwandte, musterte die entsetzten und angewiderten Gesichter der anderen Gefangenen. »Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde zulassen, dass Monsieur Azevedo meine Geliebte ungestraft schlägt? Mon Dieu! Wo bleibt da Ihre Ritterlichkeit?«
Nate bemerkte, wie sich die hinter den knienden Gefangenen stehende Indianerin an eine Wunde an der Wange fasste.
Favre wandte sich wieder zu Nate um. Sein weißer Anzug hatte nun eine hellrote Schärpe. Der Unmensch tippte auf seine Armbanduhr, dann schwenkte er mahnend den Zeigefinger. »Übrigens, Nathan, die Zeit war schon abgelaufen. Sie haben zu spät reagiert, alles, was recht ist.«
Nathan ließ den Kopf auf den Erdboden hängen. »Manny …«
Irgendwo in der Ferne durchschnitt ein Raubtierschrei den Morgen und hallte schauerlich im Tal wider.
17
DAS HEILMITTEL
17. August, 16.16 Uhr Amazonas-Dschungel
Louis überwachte die letzten Vorbereitungen im Tal. Die schmutzige Feldjacke trug er über dem Arm, die Hemdsärmel hatte er hochgekrempelt. Es war ein ausgesprochen heißer Tag – doch es würde noch heißer werden, sehr viel heißer. Mit einem grimmigen, zufriedenen Lächeln musterte er die Ruinen des Dorfs.
Ein kolumbianischer Soldat namens Mask nahm Haltung an, als Louis sich ihm näherte. Der Bursche war über einsachtzig groß und hoch gefährlich. In seiner Zeit als Bodyguard des Chefs eines Drogenkartells hatte er eine Ladung Säure ins Gesicht abbekommen. An einer Seite war die Haut vollständig vernarbt. Anschließend hatte ihn sein undankbarer Arbeitgeber gefeuert, da seine abstoßende Erscheinung ihn daran erinnerte, wie nahe er dem Tod gekommen war. Louis hingegen respektierte seine unerschütterliche Loyalität. Er war ein hervorragender Ersatz für Brail.
»Mask«, sagte Louis, den militärischen Gruß erwidernd, »wie lange wird es noch dauern, bis alle
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