Operation Amazonas
Anbruch der Dunkelheit beobachtete der Mann die Eindringlinge. Der Dschungel hatte ihn Geduld gelehrt. Alle Teshari-rin , alle Fährtensucher, wussten, dass der Erfolg weniger auf dem gründete, was man tat, als vielmehr auf der Stille zwischen den einzelnen Schritten.
Der Mann behielt seinen Beobachtungsposten die ganze Nacht bei, ein dunkler Wächter am Rande des Lagers. Er beobachtete die großen Menschen, die den Gestank der Fremdheit ausdünsteten, während sie sich umher bewegten. Sie unterhielten sich in einer unbekannten Sprache und trugen seltsame Kleidung.
Indem er beobachtete, lernte er den Gegner kennen. Irgendwann kroch eine Grille über die Hand, die er auf den Boden gestützt hatte. Mit einem Auge beobachtete er das Lager, mit dem anderen das kleine Insekt, das die Hinterbeine aneinander rieb und sein Grillenlied erklingen ließ.
Es würde bald dämmern.
Er wagte es nicht, noch länger zu warten. Er hatte in Erfahrung gebracht, was er wissen wollte. Er richtete sich so geschmeidig auf, dass die Grille auf dem Handrücken sitzen blieb und ihr letztes Lied für diese Nacht beendete. Er hob die Hand an die Lippen und pustete das verdutzte Insekt von seinem Thron.
Mit einem letzten Blick zum Lager floh er in den Dschungel. Er hatte gelernt, sich über die Waldwege zu bewegen, ohne ein einziges Blatt zu bewegen. Niemand würde merken, dass er hier gewesen war.
Der Fährtensucher war sich seiner Pflicht bewusst.
Wer nicht zu den Auserwählten gehörte, hatte den Tod verdient.
6
DER AMAZONAS-FAKTOR
11. August, 15.12 Uhr Amazonas-Dschungel
Den Zeigefinger am Abzug des Gewehrs, zielte Nate auf den fast sechs Meter langen Kaiman. Es war ein riesiger Melanosuchus niger , ein schwarzer Kaiman, der König der Riesenkrokodile des Amazonas. Er lag am morastigen Ufer und sonnte sich in der Nachmittagshitze. Die schwarzen Schuppen des Panzers schimmerten stumpf. Das Maul war leicht geöffnet. Scharfe gelbe Zähne, länger als Nates Hand, säumten die Mundhöhle. Die wulstigen Augen waren schwarz, kalt und grausam, die Augen eines prähistorischen Monsters. Es war nicht zu erkennen, ob das reglose große Tier die sich nähernden Boote bemerkt hatte.
»Wird er uns angreifen?«, flüsterte hinter ihm Kelly.
Nate zuckte die Schultern, ohne den Kopf zu wenden. »Die sind unberechenbar. Aber wenn wir ihn in Ruhe lassen, sollte er uns eigentlich nichts tun.«
Nate hockte im Bug des mittleren Schlauchboots. Er teilte sich das Boot mit den beiden O’Briens, Richard Zane und Anna Fong. Corporal Okamoto bediente den kleinen Außenborder am Heck. Der untersetzte Corporal asiatischer Abstammung hatte die Angewohnheit, dauernd tonlos vor sich hin zu pfeifen, was nach viertägiger Fahrt ziemlich nervtötend war. Der riesige Kaiman am Ufer hatte ihn jedoch vorübergehend verstummen lassen.
Dicht am gegenüberliegenden Ufer entlang tuckerte das Führungsboot an dem Tier vorbei. An der Steuerbordseite zielten mehrere M-16 auf den schwarzen Kaiman.
In jedem Boot waren sechs Passagiere untergebracht. Im Führungsboot waren drei Soldaten und die übrigen Zivilisten: Professor Kouwe, Olin Pasternak und Manny, der mit seinem zahmen Jaguar mitten im Boot saß. Tor-tor fuhr nicht zum ersten Mal Boot, und die Fahrt machte ihm anscheinend Spaß. Er schlug träge mit dem Schwanz, die Ohren hatte er aufgestellt, die Augen zumeist halb geschlossen.
Im letzten Boot saßen die übrigen sechs Ranger, darunter auch Captain Waxman, der Kommandant.
»Die sollten das verdammte Vieh einfach abknallen«, meinte Frank.
Nate sah ihn an. »Das ist eine bedrohte Tierart. Im vergangenen Jahrhundert standen die Kaimane kurz vor dem Aussterben. Erst in letzter Zeit haben sie sich wieder vermehrt.«
»Warum nur macht mich das nicht froh?«, murmelte Frank mit Blick aufs Flusswasser. Er zog die Baseballkappe in die Stirn, als wollte er sich dahinter verstecken.
»Die Kaimane töten alljährlich hunderte Menschen«, murmelte Zane, an der Seite des Schlauchboots hockend. »Sie bringen Boote zum Kentern und greifen alles an, was sich bewegt. Ich habe mal von einem schwarzen Kaiman gelesen, in dessen Bauch zwei Außenborder gefunden wurden, die er als Ganzes verschluckt hatte. Ich bin ganz Mr. O’Briens Meinung. Ein paar gezielte Schüsse …«
Mittlerweile hatte das Führungsboot den Kaiman passiert, und nun schob sich Nates Boot mit summendem Motor in der trägen Strömung an dem Kaiman vorbei.
»Wundervoll«, sagte Nate. Er beobachtete das Tier
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