Operation Amazonas
nach hinten, während er Rodney mit sich zog. Mit dem freien Arm packte er die nasse Feldjacke seines Bruders, dann fiel er nach hinten und riss seinen Bruder über den Rand des Schlauchboots mit.
Rodney flog aus dem Wasser hoch und landete bäuchlings auf dem Schlauchboot. Er lachte erleichtert auf. »Das verfluchte Krokodil!«
Er wollte gerade die Füße aus dem Wasser ziehen, als ein riesiges aufgerissenes Maul aus dem Wasser schoss und beide Beine bis zu den Oberschenkeln packte. Die mächtigen Kiefer schlossen sich um die Beute, dann versanken sie wieder im Fluss. Gegen die tonnenschwere Panzerechse war Gegenwehr ausgeschlossen.
Rodney verschwand unter Wasser, während sein letzter Schrei noch über dem Fluss verklang. Die knienden Soldaten zielten ins Wasser, doch keiner schoss. Eine blindlings abgefeuerte Salve hätte womöglich ihren Kameraden anstatt des Kaimans getroffen. Ihren Mienen war zu entnehmen, dass sie die Wahrheit kannten. Corporal Rodney Graves war verloren. Sie alle hatten gesehen, wie groß das Tier war, hatten mitbekommen, wie sich das Maul um Graves geschlossen hatte.
Nate wusste, dass sie Recht hatten.
Der Kaiman würde seine Beute unter Wasser festhalten, bis sie ertrunken war. Dann würde er sie entweder fressen oder den Leichnam unter Wasser zwischen den Mangrovenwurzeln deponieren, bis er verrottet und leichter zu zerreißen war.
Für den Mann gab es keine Rettung mehr.
Nate trieb weiterhin reglos im Wasser. Der Kaiman würde sich wahrscheinlich mit seiner Beute zufrieden geben, doch wo einer war, konnten auch mehrere sein, zumal das Blut von der Strömung verteilt wurde. Er wollte kein Risiko eingehen. Er wälzte sich auf den Rücken und ließ sich treiben, bis man ihn aus dem Wasser zog.
Er blickte in das entsetzte Gesicht von Tom Graves. Der Corporal starrte auf die Hände, als würfe er ihnen vor, dass sie nicht kräftig genug gewesen waren, seinen Bruder festzuhalten.
»Tut mir Leid«, sagte Nate leise.
Als der Mann den Kopf hob, sah Nate zu seiner Bestürzung Wut in seinen Augen, Wut darüber, dass Nate überlebt hatte, während sein Bruder gestorben war. Tom wandte sich bedrückt ab.
Ein anderer Soldat war weniger zurückhaltend. »Was zum Teufel sollte das?« Captain Waxmans Gesicht war purpurrot vor Zorn. »Was war das für ein verfluchter Selbstmörderstunt? Wollten Sie sich ebenfalls umbringen?«
Nate streifte sich das nasse Haar aus der Stirn. »Ich wollte ihm bloß helfen«, murmelte er.
Das Feuer in Captain Waxmans Stimme erlosch; übrig blieb glimmende Glut. »Wir haben den Auftrag, Sie zu schützen. Und nicht umgekehrt.«
Mittlerweile war Nates Boot gleichauf mit dem der Ranger. Er kletterte hinüber und nahm wieder seinen ursprünglichen Platz ein.
Als er saß, gab Captain Waxman das Zeichen, die Fahrt fortzusetzen. Das Motorengebrumm wurde lauter.
Nathan hörte, wie Tom Graves protestierte. »Captain … der Leichnam meines Bruders …«
»Er ist tot, Corporal. Den finden wir nicht mehr.«
Die drei Boote fuhren weiter. Nate fing Kouwes Blick auf. Der Professor schüttelte betrübt den Kopf. Im Dschungel boten weder eine gründliche militärische Ausbildung noch ein Arsenal von Waffen vollständigen Schutz. Wen der Dschungel haben wollte, den nahm er sich. Das nannte man den Amazonasfaktor. Wer sich in die grüne Hölle begab, war ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Nate spürte eine Berührung am Knie. Er wandte sich Kelly zu. Sie seufzte, starr geradeaus blickend, dann sagte sie: »Das war leichtsinnig von Ihnen. Aber« – sie sah ihn an – »ich bin froh, dass Sie es versucht haben.«
So kurz nach der unvermuteten Tragödie brachte Nate bloß ein Kopfnicken zustande, doch ihre Worte wärmten die kalte Leere in seinem Innern. Sie nahm die Hand von seinem Knie.
Die restliche Wegstrecke legten sie schweigend zurück. Auch Corporal Okamoto, der den Außenborder bediente, hatte sein Pfeifen eingestellt. Sie fuhren weiter, bis die Sonne sich dem Horizont näherte, als wollten sie eine möglichst weite Strecke zwischen sich und den Tod von Rodney Graves bringen.
Als das Lager aufgeschlagen wurde, berichteten sie dem Stützpunkt in Wauwai von dem Unglücksfall. Die düstere Stimmung überschattete auch das Abendessen, als sie Fisch, Reis und einige Dschungelwurzeln verzehrten, die Professor Kouwe im Umkreis des Lagers gesammelt hatte.
Das einzige Gesprächsthema waren die süßen Yamswurzeln. Nathan hatte sich danach erkundigt. »So viele auf einem Haufen, das
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