Operation Amazonas
achtete, war er leicht zu überhören. Olin hatte vor dem Sturz des kommunistischen Regimes der KGBAbteilung für Computerüberwachung angehört. Wenige Monate vor dem Fall der Berliner Mauer war er in die Staaten desertiert. Aufgrund seiner Ausbildung und seiner Kenntnis der russischen Rechnersysteme hatte er eine von geringer Geheimhaltungsstufe betroffene Anstellung bei der Abteilung für Wissenschaft und Technik der CIA bekommen.
Frank geleitete Kelly zu einem Klappstuhl mit einem Laptop davor. Seit sie von der Ansteckungsgefahr wussten, bestand Kelly darauf, zweimal täglich Verbindung mit den Staaten aufzunehmen. Sie gab vor, beide Seiten auf dem Laufenden halten zu wollen, in Wirklichkeit aber ging es ihr darum, zu erfahren, ob mit ihrer Familie noch alles in Ordnung war. Mit ihrer Mutter, ihrem Vater, ihrer Tochter. Alle drei befanden sich unmittelbar am Ort des Geschehens.
Kelly nahm auf dem Klappstuhl Platz und beobachtete aus den Augenwinkeln den beiseite tretenden Olin. In der Gegenwart dieses Mannes fühlte sie sich stets unwohl. Vielleicht weil er dem KGB angehört hatte und ihr Vater bei der CIA gewesen war. Vielleicht lag es aber auch an dem Narbenwulst, der sich vom Ohr bis zum Hals zog. Olin hatte erklärt, er sei bloß ein Computerfreak gewesen, der für den KGB gearbeitet habe. Aber woher hatte er dann die Narbe?
Olin zeigte auf den Bildschirm. »In dreißig Sekunden sollte die Verbindung stehen.«
Kelly beobachtete, wie der kleine Timer auf dem Monitor die Sekunden herunterzählte. Als er bei Null angekommen war, erschien das Gesicht ihres Vaters auf dem Bildschirm. Er hatte die Krawatte gelockert und trug kein Jackett.
»Du siehst aus wie eine nasse Ratte«, waren seine ersten Worte.
Kelly fasste sich lächelnd ans nasse Haar. »Die Regenzeit hat begonnen.«
»Das sehe ich.« Ihr Vater erwiderte ihr Grinsen. »Wie läuft’s bei euch?«
Frank beugte sich in den Erfassungsbereich der kleinen Kamera vor. Er berichtete kurz von ihrer Entdeckung.
Kelly lauschte derweil auf das Brummen von Nates Außenborder. Das Wasser und das überhängende Laubwerk hatten eine eigentümliche Akustik zur Folge. Es hörte sich an, als ob das Boot ganz in der Nähe wäre, dann brach das Geräusch auf einmal ab. Offenbar hatte es das Dorf erreicht.
»Pass gut auf deine Schwester auf, Frank«, sagte ihr Vater abschließend.
»Wird gemacht, Sir.«
Jetzt war Kelly an der Reihe. »Wie geht es Mutter und Jessie?«, fragte sie, die Hände auf dem Schoß zu Fäusten geballt.
Ihr Vater lächelte beruhigend. »Beide strotzen vor Gesundheit. Wie wir alle. Das ganze Institut. Bislang wurden in dem Bereich keine Krankheitsfälle gemeldet. Die Ansteckungsmöglichkeiten wurden unterbunden, und der Westflügel des Instituts wurde in ein Notlager für die Familien umgewandelt. Da so viele MEDEA-Angehörige hier sind, haben wir rund um die Uhr ärztliche Versorgung.«
»Wie kommt Jessie damit klar?«
»Sie ist sechs Jahre alt«, meinte er achselzuckend. »Anfangs war sie ein bisschen verängstigt, weil sie sich entwurzelt fühlte. Mittlerweile hat sie jede Menge Spaß mit den Kindern der anderen Beschäftigten. Aber warum fragst du sie nicht selbst?«
Kelly straffte sich ein wenig, als ihre Tochter ins Bild kam und ihr mit ihrem kleinen Händchen zuwinkte. »Hi, Mommy!«
Tränen traten Kelly in die Augen. »Hi, Schatz. Geht’s dir gut?«
Ihre Tochter nickte heftig und kletterte ihrem Großvater auf den Schoß. »Heute gab’s Schokoladekuchen, und ich bin auf einem Pony geritten!«
Ihr Vater lachte leise auf und sprach über ihren Kopf hinweg. »Innerhalb der Quarantänezone liegt eine kleine Farm. Heute haben sie ein Pony hergebracht und die Kinder reiten lassen.«
»Das klingt lustig, Schatz. Ich wünschte, ich wär bei dir.«
Jessie rutschte ungeduldig auf dem Schoß ihres Großvaters herum. »Weißt du was? Morgen kommt ein Clown und macht Tiere aus Luftballons.«
»Dr. Emory von der Histopathologie«, flüsterte Kellys Vater. »Er versteht seine Sache wirklich gut.«
»Ich werd ihn bitten, mir einen Affen zu machen«, sagte Jessie.
»Das ist toll.« Kelly beugte sich vor, verschlang das Bild ihres Vaters und ihrer Tochter mit den Augen.
Nachdem sie sich noch eine Weile über Ponys und Clowns unterhalten hatten, stellte Jessies Großvater sie wieder auf den Boden. »Es wird allmählich Zeit, dass Ms. Gramercy dich in deine Klasse zurückbringt.«
Jessie zog eine Schnute, gehorchte jedoch, »Bye, Schatz!«, rief Kelly. »Ich
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