Operation Arche - 1
wie Merlin ursprünglich gedacht hatte, als er dieses System einrichtete), und das gleiche galt auch für das Fahrzeug, das sich ihm jetzt lautlos aus nördlicher Richtung näherte, nachdem es den ganzen Tag über in Sicherheit auf See verbracht hatte.
Merlin streckte die Arme aus und krallte sich mit den Fingerspitzen in einen Mauerspalt zwischen zwei Steinen der massiven Außenmauer des Marytha-Turms, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dann zog er sich in der Fensteröffnung ein Stück weit hoch, bis er fast aufrecht stand.
»Also gut, Owl. Nimm mich auf«, sagte er.
»Jawohl, Lieutenant Commander«, bestätigte die KI, und ein Traktorfeld drang aus dem Aufklärer-Schwebeboot, das in tausend Metern Höhe über Tellesberg schwebte, und hob Merlin sanft von der Fensterbank.
Mühelos und lautlos stieg Merlin in der Finsternis auf und betrachtete dabei die Stadt zu seinen Füßen. Auf genau die gleiche Art und Weise hatten Langhorne und seine so genannten Engel so ›wundersam‹ kommen und gehen können, und Merlin war bitter versucht gewesen, diese Fähigkeit ebenso in aller Öffentlichkeit einzusetzen. Sein Aufklärer-Schwebeboot war derzeit maximal getarnt, und das bedeutete, der Rumpf mit seiner bedingten KI ahmte perfekt den Nachthimmel nach. Im Prinzip war das Schwebeboot so durchsichtig wie die Luft, die es umgab, für menschliche Augen – und auch für Merlins – ebenso unsichtbar, wie es das dank der Tarnungsvorrichtungen auch für deutlich fortschrittlichere Sensoren war. Doch dank der bedingten KI konnte dieser Rumpf auch die gleißende Helligkeit des ›Kyousei hi‹ abstrahlen, derer sich die ›Engel‹ bedient hatten. Zusammen mit den buchstäblich übermenschlichen Fähigkeiten, die Merlins PICA ihm bot, ganz zu schweigen von all den anderen technologischen Errungenschaften, die Kauyung und Shan-wei hatten verbergen können, konnte er so mühelos sämtliche Großtaten vollbringen, die diese ›Engel‹ jemals vollbracht hatten.
Doch sofort hatte Nimue diese Überlegungen wieder verworfen. Nicht nur, dass es ihr sofort und instinktiv zutiefst widerstrebte, auf diese Weise in die Fußstapfen von Langhorne und Bédard zu treten, es gab auch noch andere, rein praktische Überlegungen, die sie davon abhielten. Früher oder später würde sie irgendjemandem die Wahrheit sagen müssen, und genau das war auch der Grund, warum Merlin niemals rundheraus gelogen hatte. Immer weiter auf Lügen gleichwelcher Art zu verzichten, würde ihm zunehmend leichter fallen und ihm gleichzeitig mehr Schwierigkeiten bereiten, so vermutete er. Doch wenn die Zeit gekommen war, die Wahrheit öffentlich kundzutun, konnte er es sich einfach nicht erlauben, jemals auch nur eine einzige Lüge verbreitet zu haben. Nicht, wenn ihm daran gelegen war, dass derjenige, dem er die Wahrheit anvertraute – wer immer das dann auch sein mochte – ihm Glauben schenkte, sobald Merlin all die ungleich größeren Lügen aufdeckte, die dieser ganze Planet seit so vielen Jahrhunderten über sich hatte ergehen lassen müssen.
Und, wichtiger noch: Einen Aberglauben, eine falsche Religion, einfach durch eine andere zu ersetzen, würde niemals das Ziel erreichen, das sich Nimue Alban gesetzt hatte. ›Dekrete Gottes‹, die ohne jede Frage zu befolgen waren, würden niemals genau die allgemein verbreitete, unabhängige und neugierige Denkweise hervorbringen, die in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten so unerlässlich sein würde. Und das Erscheinen eines ›Engels‹, der eine Doktrin predigte, die so im Widerspruch mit denen der Kirche und der Heiligen Schrift stand, würde unweigerlich sofort dazu führen, dass man diesem Engel einen dämonischen Ursprung vorwarf. Und das wiederum würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau den Religionskrieg hervorrufen, der, so fürchtete Nimue, ohnehin unvermeidlich sein würde, doch sie hoffte, dessen Ausmaß wenigstens minimieren und ihn vielleicht noch eine oder zwei Generationen hinauszögern zu können.
Die dicke PanzerPlastik-Kuppel des reglos in der Luft schwebenden Schwebebootes glitt zurück, und das Traktorfeld setzte Merlin auf die ausgefahrene Einstiegsleiter des Fahrzeugs ab. Zügig kletterte er an Bord und nahm in dem bequemen, wenn auch nicht gerade übermäßig geräumigen, Pilotensessel Platz, während die Leiter wieder in den Rumpf des Fahrzeugs eingezogen wurde. Gleich darauf schloss sich über Merlin die Kuppel wieder, das leise »Schuuuuusssch« einer
Weitere Kostenlose Bücher