Operation Beirut
Französisch war beinahe perfekt, wenn ihm auch eine Andeutung eines anderen Akzents – vielleicht eines holländischen – aus längst vergangener Zeit anhaftete.
Avidor lud Levi eines Abends im Frühjahr 1970 zum Abendessen ein. Erinnerte sich Levi, als er an jenem Abend an der Haustür läutete, dass an diesem besonderen Abend etwas Spezielles anlag? Und war er vielleicht überrascht, die anderen Leute der Station im Haus des Chefs zu sehen? Zu den anderen Gästen gehörte eine junge Frau, die ebenfalls als Kurier arbeitete, wenn sie nicht gerade Briefe tippte oder Rechnungen losschickte, sowie ein Paar in den Mittvierzigern, das sich um Wanzen und Kameras und den Rest der Überwachungsausrüstung kümmerte.
Levi kapierte zuerst nicht, was an jenem Abend in Avidors Wohnung vor sich ging. Er sah, wie Avidors Frau ans Fenster ging und sorgfältig die Jalousien zuzog; aber das war eigentlich ganz normal. Er sah, dass am Esstisch noch ein Platz frei war, aber vielleicht erwartete man noch jemanden zum Essen. Erst als er sich den Tisch wirklich genauer ansah, erkannte er, was Avidor getan hatte. Auf dem Tisch standen ein Teller mit drei Matzebroten, eine gebratene Hachse, ein Petersilienzweig, ein Teller mit Salzwasser, der obere Teil eines Meerrettichs, ein gekochtes Ei und ein Teig aus Äpfeln und Nüssen.
Avidor ist verrückt, dachte Levi. Es ist zu gefährlich, hier Passah zu feiern. Es wird uns jemand sehen. Es wird uns jemand hören. Aber Avidor kam mit einem breiten Grinsen aus der Küche. Auf dem Kopf trug er seine Jarmulke; er gab auch Levi und dem anderen männlichen Gast eine.
«Würde bitte jemand das Radio einschalten», sagte Avidor.
Levi drehte am Knopf. Das Gerät war auf die Stimme der Araber in Kairo eingestellt; der Sender wiederholte eine Rede von Präsident Nasser, die bereits eine Woche alt war. Der ägyptische Führer sprach monoton über die Leistungsfähigkeit der ägyptischen Industrie.
«Danke», sagte Avidor.
Man verdunkelte die Lichter, und Avidors Frau zündete die Kerzen an. Mit Tränen in den Augen hörte Levi zu, wie Avidor mit leiser Stimme die traditionelle Segnung der Kerzen rezitierte; kaum mehr als ein Flüstern, und doch übertönte es das Leiern von Nassers Rede.
Baruch ata Adonai Eloheinu …
«Indem wir Gott lobpreisen, sagen wir, dass alles Leben heilig ist. Indem wir festliche Lichter anzünden, erhalten wir die Heiligkeit des Lebens.»
Levi weinte. Ebenso der Kryptograph. Aber Avidors Stimme war kräftig und voller Hoffnung.
«Mit jenem heiligen Licht, das wir entzünden, erhellt sich die Welt zu größerer Harmonie. Wir preisen dich, o Herr, unser Gott, majestätischer Herrscher über alles Leben, der unser Leben mit Geboten heiligt und uns bittet, das heilige Festtagslicht anzuzünden
.
»
«Setzt euch alle», sagte Avidors Frau.
Levi blickte auf den Tisch. Die Matze lag da, weil man auf der Flucht aus Ägypten keine Zeit gehabt hatte, gesäuertes Brot zu backen; die zarten Kräuter des Frühlings symbolisierten das Grün der Hoffnung und der Erneuerung, das in das Salzwasser der Tränen getaucht wurde; der Maror, die bittere Meerrettichwurzel, die für die Bitterkeit des Lebens in Ägypten stand und die noch größere Bitterkeit und die Pein der zweitausend Jahre des Exils in der Diaspora. Und der süße Teig aus Äpfeln und Honig, der Mörtel, mit dem wir unsere Träume bauen.
Dieses eine Mal glaubte Levi zu verstehen, was er hier in Beirut machte, und er erinnerte sich daran, dass er tatsächlich an einer sehr langen Reise teilnahm.
Kapitel 16 Beirut; März 1970
Als Rogers aus Kuwait zurückkam, traf er Hoffman in einer besonders üblen Laune an. Einige Tage zuvor war es im Libanon zwischen den christlichen Milizen und den palästinensischen Kommandos zu einer Krise gekommen.
Wie bei so vielen anderen Gelegenheiten im Libanon handelte es sich auch diesmal um das alte Stein-um-Stein-Spiel. Christliche Schützen hatten aus dem Hinterhalt auf einen palästinensischen Leichenzug geschossen, während dieser auf der Überlandstraße von Beirut nach Damaskus durch das Dorf Kahhaleh zog. Die Christen behaupteten, die Trauernden hätten illegal Waffen getragen. Palästinensische Kommandos aus dem Flüchtlingslager Tal Zaatar übten Vergeltung, indem sie eine benachbarte christliche Vorstadt angriffen. Das Gewehrfeuer hatte auf andere Teile übergegriffen, und jetzt befürchtete man, die Kämpfe könnten eskalieren.
In Hoffmans Büro brannte noch Licht, als
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