Operation Beirut
durch, indem er Geld stahl. Börsen, Brieftaschen. Sein Hass auf die Deutschen kam ihm dabei zugute. Zehn Tage später fuhr er in einem braunen Mercedes bei der Adresse vor, die man ihm gegeben hatte; in neuer Garderobe und den Lippenstift seiner deutschen Freundin auf der Wange. Er war einer der wenigen Rekruten, die bestanden. Einige der anderen Jungs hatten im Gebüsch in der Nähe des Flughafens übernachtet, sich ihre Mahlzeiten aus Mülleimern zusammengesucht und nach zwei Tagen voller Verzweiflung in der Israelischen Botschaft angerufen. Sie hatten nicht wie Levi das Zeug zum Überleben. Vielleicht hatten sie nicht genug Angst.
Gut, du hast überlebt, sagte man ihm damals. Du bist einer von uns. Geh nach Frankreich, nach Marseille. Lass dich dort nieder. Verschwinde von der Bildfläche. Belege einige Kurse an der Universität. Bau dir eine Identität auf. Beantrage einen Pass. Das ist legal; schließlich bist du in Frankreich geboren. Hier sind die nötigen Dokumente. Jeden Monat traf auf einem Nummernkonto in Nizza Geld ein. Das Ganze glich einem langen Urlaub, bis schließlich der französische Pass in der Post lag. Einige Tage darauf kam eine Mitteilung von einem Führungsoffizier des Mossad – und mit ihr die schreckliche Angst.
Levi begann als Kurier zu arbeiten; er erledigte Aufträge hinter dem Eisernen Vorhang. Er reiste als französischer Geschäftsmann und bediente tote Briefkästen und Agenten in Warschau, Prag, Litauen, Kiew oder Moskau. Er überbrachte Geld, Mitteilungen und Aufträge für Mossad-Agenten im Ostblock. Bei den meisten von ihnen handelte es sich um Juden; Menschen, die ebenso viel Angst hatten und ebenso sehr zum Überleben entschlossen waren wie Levi selbst. Bei einem raschen Treff in einem Warschauer Bahnhof oder beim Anrempeln eines Passanten in einer Moskauer U-Bahn-Station übernahm er ihre Informationen; oder er holte in Bratislava einen Satz Dokumente aus einem im Abflussrohr einer Regenrinne versteckten Metallbehälter. Seine Reiserouten waren präzise geplant, bis auf die Minute vorprogrammiert. Jede Kontaktaufnahme war auf einen präzisen Zeitpunkt festgelegt; mit einem zweiten Versuch vierundzwanzig Stunden später an einer anderen Stelle, für den Fall, dass der Agent nicht erschien oder der tote Briefkasten leer war.
Alles, was ihm von diesen Reisen wirklich im Gedächtnis geblieben war, war die Angst. Der Schweiß, der ihm unter dem Hemd den Körper hinunterlief, wenn er in der Schlange vor der Passkontrolle stand, der innere Kampf um die Kontrolle über seine Stimme, wenn ihn ein Polizist auf dem Weg zu einem Agenten anhielt, um ihn zu fragen, wohin er denn wolle. Eine solche Angst, dass er an nichts anderes denken konnte als daran, das alles zu überstehen und am Leben zu bleiben. Und wenn er dann endlich die Grenze überschritt und lebendig herauskam, dann ging er zurück nach Marseille, um wie ein Verurteilter darauf zu warten, das Ganze ein weiteres Mal zu tun.
Er war sehr gut in seinem Job. Einer der Besten. Das war Levis Fluch. Das hatte ihn auch nach Beirut gebracht.
Wir machen Druck auf die Nähte, sagte der Chef der Mossad-Station in Beirut seinen jungen Offizieren oft und gerne. Druck auf die Nähte eines Kleidungsstücks, das bereits dabei ist auseinanderzufallen. Die arabische Welt ist ein Mythos. Es gibt keine Araber. Es gibt Christen und Moslems, Palästinenser und Syrer und Libanesen, Sunniten, Schiiten, Drusen, Maroniten, Melchiten, Alawiten, Kopten und Kurden. Sie leben in Traumländern, die von den europäischen Kolonialherren geschaffen wurden. Das Gewebe ist so weit, aus dem Leim zu gehen, sagte der Chef der Mossad-Station immer wieder. Schaut euch nur den Libanon an, sagte er immer wieder.
Der Chef der Station war ein Mann namens Ze’ev Avidor. Levi hatte den größten Respekt vor ihm. Nach und nach kam er, wie das vielen jüngeren Offizieren passierte, zu der Überzeugung, dass es Avidor war, der sie alle am Leben erhielt. Wenn Avidor nicht wäre, dachte Levi, dann würden sie alle durch die Straßen von Beirut gehen und die Hatikva, die israelische Nationalhymne, singen. Avidor war rastlos, nachdenklich, verspielt und heimlichtuerisch. Er hatte eine durchscheinende Haut, ein Gesicht, das leicht gerötet und voller Sommersprossen war; sein Kopf war kahl, und er kämmte sorgfältig die ihm noch verbliebenen Haarsträhnen über seine Glatze. Er sah aus wie ein pedantischer und korrekter französischer Geschäftsmann. Sein
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