Operation Blackmail
Polizei begriffen hat,
dass normale Chaträume ein Paradies für schräge Vögel sind«, fuhr Dominique
fort. »Wie, das habe ich mich immer wieder gefragt, wie würde ich mit meinen
Partnern kommunizieren bei einer Erpressung? Wenn ich clever genug bin, auf
Telefone, Handys und E-Mails zu verzichten?«
»Dafür«, sprang Eddy ein, ohne das Tippen auf seinem Laptop zu
unterbrechen, »wäre ein Computerspiel mit integriertem Chat perfekt. Es hat ein
anderes Protokoll, es läuft komplett neben den üblichen überwachten Kommunikationswegen.
Und, was das Beste ist, niemand würde es jemals erwarten, geschweige denn,
etwas dagegen unternehmen.«
Thater gab den Takt vor: »Dominique, wir brauchen eine Liste aller
Personen, die Zugang zu diesem umgebauten Stockwerk hatten: Mitarbeiter,
Reinigungspersonal, Innenarchitekten, die Umzugsfirma.«
Dominique nickte und machte sich eifrig Notizen, aber Eddy
unterbrach ihn. Er hatte aufgehört zu tippen: »Ich glaube, das können wir uns
schenken. Es ist mir gelungen, den Klartext ihres Chats aus dem
Ãbertragungsprotokoll herauszufiltern. Wisst ihr, was unser Mastermind zu Mikanas
gesagt hat?«
Die Runde starrte ihn gespannt an.
»Ich habe noch nichts von ihm gehört«, las Eddy von seinem
Bildschirm ab. »Halt still, und bleib, wo du bist.«
Solveigh spürte, wie sich ein unangenehmes Kribbeln in ihrem Bauch
ausbreitete. Derjenige, von dem ihr Mastermind noch nichts gehört hatte, musste
der Maulwurf bei der EuroBank sein. Es war eindeutig kein einmaliger Informant,
sondern er lieferte ihm weiterhin Hinweise. Und in welcher Form auch immer die
Informationen des Verräters kamen â sie waren entscheidend für das weitere
Vorgehen der Erpresser. Damit schieden Putzleute und Innenarchitekten aus, es
musste sich um einen Mitarbeiter handeln, der von Anfang an mit allen Vorgängen
vertraut gewesen war. Ein Mitarbeiter aus dem unmittelbaren Umfeld des
Vorstands selbst. Solveigh erschauderte bei dem Gedanken, dass sogar Heinkel
selbst die Erpressung seiner Bank eingefädelt haben könnte, als ihr ein kurzes
Vibrieren eine SMS ankündigte. Absender: Marcel Lesoille. Sie ging in die
Teeküche, um sie ganz in Ruhe zu lesen. Als sie eine dampfende Tasse Kaffee vor
sich stehen hatte, öffnete sie die Nachricht und lächelte â¦
KAPITEL 50
Frankfurt am Main, Konzernzentrale der EuroBank
Tag 11: Donnerstag, 17. Januar, 12:01 Uhr
Paul Vanderlist hatte schon am Konferenztisch in Heinkels
Büro Platz genommen und wartete. Die Sonne stand prall auf der Glasfassade,
sodass es trotz der winterlichen Temperaturen in Frankfurt knallheià in den
Büros war. Er nahm den aktuellen Pressespiegel zur Hand, den Gessner für
Heinkel inzwischen stündlich zusammenstellte. Die Stimmung bei der Bank wurde
immer angespannter, kein Wunder bei den Schlagzeilen. Da titelte die britische
Boulevardpresse: »Whoâs next?« über einem Bild der jungen Sophie Besson, deren
Körper verdreht auf einer Pariser StraÃe lag. Und auch die Wirtschaftsmedien
gingen nicht gerade zimperlich mit ihnen um: »Blackmailing puts EuroBank on
Black List«, schrieb eine bei Börsianern beliebte Tageszeitung.
Immerhin konnte er mit einem kleinen Lichtblick aufwarten, auch wenn
dieser mit einer Hiobsbotschaft verbunden war. Bis vor wenigen Minuten hatte er
mit William Thater telefoniert, der ihn auf den neuesten Stand gebracht hatte.
Dabei wäre ihm beinahe die Kinnlade heruntergeklappt: Laut den neuesten
Erkenntnissen der ECSB gab es einen Verräter in ihren Reihen, einen Maulwurf,
der den Erpressern zuarbeitete. Die einzigen Personen, die laut Analyse der
Psychologen nicht als Mittäter infrage kamen, waren er und Heinkel selbst.
Ebenso nüchtern, wie ein erfahrener Richter seine Urteile verliest, hatte
Thater ihn informiert, dass der Kollaborateur sich niemals bemüht hätte, die
ECSB einzuschalten. Daher hätten sie ihn von der Liste gestrichen. Vielen Dank,
Herr Thater. Heinkel wiederum nahm als Vorstandsvorsitzender derart
persönlichen Schaden, dass der Psychologe seine Mittäterschaft für äuÃerst unwahrscheinlich
hielt. Sein Bild prangte auf fast jeder Titelseite neben dem eines Opfers. Ihm
und Heinkel fiel damit die grausame Aufgabe zu, einen geschätzten Kollegen als
Verbrecher zu identifizieren. Und es war essenziell, dass sie schnell einen
Erfolg vorweisen konnten.
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