Operation Blackmail
wollte gar nicht zu der
schnellen Bewegung passen. Sie fragte ruhig, beinahe verführerisch: »An was
denken Sie gerade, Dominique?«
Sie weià es, raunte eine seiner Synapsen der anderen zu, sie liest
in dir wie in einem Buch. Was bist du nur für ein dämlicher Idiot?, schalt er
sich selbst. Er versuchte das Zweitbeste und stammelte: »Schicke Schuhe.«
»Danke«, gab sie zurück. »Und was halten Sie nun von meinen Brüsten,
Monsieur?«
Also doch. Super gemacht, Dominique. Ohne nachzudenken, fielen die
Worte aus seinem Mund: »Sie sind hübsch, vielleicht etwas klein.«
Er erwartete eine Ohrfeige oder Schlimmeres, aber nichts dergleichen
geschah. Stattdessen brach sie in schallendes Gelächter aus und antwortete:
»Das ist mir wirklich selten passiert. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer
Ehrlichkeit, Sie haben gerade einen Sprung auf Slangs Beliebtheitsskala
gemacht. Dafür beantworte ich Ihnen Ihre brennendste Frage.«
Slang? Wahrscheinlich ihr Spitzname, vermutete Dominique. Er war
erleichtert, möglicherweise hatte er dadurch sogar eine Möglichkeit eröffnet,
etwas mehr über die Organisation zu erfahren, die so viel zu verbergen hatte.
Er fing bei dem einzig Greifbaren an, das ihm beim Ausfüllen ihrer Berechtigung
aufgefallen war: »Nur eine Frage? Also gut. Die Frage lautet: Was, Agent Lang,
ist die ECSB?«
»Ich hätte es mir denken können, obwohl ich natürlich auf etwas
Persönlicheres spekuliert hatte, nachdem du mir schon auf die Brust gestiert
hast«, zwinkerte sie ihm zu. Dominique wollte etwas erwidern, aber Agent Lang
kam ihm zuvor: »Die ECSB wurde am 22. Juni 2007 gegründet. Nach dem Scheitern
der Europäischen Verfassung sahen führende Politiker der groÃen
Industrienationen die europäische Sicherheitspolitik gefährdet. Nachdem der
deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl bereits zehn Jahre zuvor eine Aufwertung von
Europol zu einer Art âºeuropäischem FBIâ¹ gefordert hatte, ergab sich für seine
erste konservative Nachfolgerin im Amt die Chance, die Vision ihres Ziehvaters
umzusetzen. Am Rande des Brüsseler Gipfels wurde unter deutscher Ratspräsidentschaft
von beinahe allen der 27 Mitgliedsstaaten ein geheimer Zusatzvertrag unterzeichnet,
der die Gründung einer kleinen, aber schlagkräftigen Polizeieinheit mit
paneuropäischen Befugnissen vorsah. Das war die Geburtsstunde der ECSB. Kern
des Vertrags ist ein einfacher, aber genialer juristischer Winkelzug: Die ECSB
wechselt einfach bei jeder Grenzüberschreitung ihren Dienstherrn. Derzeit bin
ich Mitarbeiterin des franzöÂsischen Innenministeriums â natürlich nur formell.
Ãber die Existenz der ECSB sind jeweils nur die Regierungschefs sowie die
Ministerien des Inneren, der Verteidigung und der Justiz informiert. Wenn wir
in einem Fall ermitteln, wird unsere Rolle verschwiegen und in den Akten
nebulös unserem aktuellen Arbeitgeber zugeordnet.«
Stimmt es also tatsächlich, staunte Dominique. Es gab hartnäckige
Gerüchte über eine paneuropäische Einheit, die seit Jahren nicht verstummen
wollten. Hinter vorgehaltener Hand wurde immer wieder gemunkelt, es seien hier
und da »Herren in dunklen Anzügen« aufgetaucht und hätten das Ruder übernommen.
Er erinnerte sich dunkel an den Fall eines russischen KGB-Spions, der eine
radioaktive Spur quer durch Europa gezogen hatte. Damals hatte sich der
leitende Commissaire bitter bei General Rocard beschwert, dass ihm die
Ermittlungen grundlos entzogen worden seien. Dominique hatte dem Vorfall keine
Bedeutung beigemessen, aber jetzt ahnte er, wer dahintersteckte: »Waren Sie die
Einheit, die den strahlenverseuchten Russen übernommen hat?«
»Ihre Auffassungsgabe ist bemerkenswert, aber ich darf Ihnen das
nicht bestätigen. Offiziell«, grinste ihn Agent Lang an. Dominique staunte. »Im
Ãbrigen haben wir Ihrem äuÃerst unsympathischen Chef sogar zu seinem momentanen
Posten verholfen, was mich seit heute Abend besonders ärgert.«
»Tatsächlich?« Dominique konnte sich das nur schwer vorstellen.
»Bedauerlicherweise ja. Erinnern Sie sich an den TEMPEST-Fall
letztes Jahr?«, fragte ihn Agent Lang. Ihm dämmerte es. Es ging damals um einen
international operierenden Industriespionagering. Mehrere europäische Konzerne
hatten unabhängig voneinander beklagt, dass Betriebsgeheimnisse verraten worden
sein
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