Operation Blackmail
sie chancenlos unterlegen,
zumindest beim Schach.
Sie schob ihre Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf das
anstehende Interview mit Rendson. Erst mal musste sie in der Siedlung
identischer Hochhäuser die richtige Hausnummer finden. Zum Glück gab es,
ordentlich, wie die Planer gearbeitet hatten, überall Schilder am Rand der asphaltierten
Wege, die zwischen verwahrlosten Spielplätzen und ausgetretenen Grünflächen
hindurchführten. Als sie an einem der verwaisten Geräteparks vorbeilief, auf
dessen niedriger Mauer eine Gruppe halbstarker Krawallbrüder saÃ, verfluchte
sie innerlich ihre Kleidungswahl: enge Jeans, Pumps und eine teure Lederjacke
waren nun wirklich nicht das passende Outfit. Trotzdem verlangsamte sie ihren
Schritt nicht, als sie an ihnen vorbeiging. Eine mögliche Konfrontation wäre
für sie eher eine ärgerliche Verzögerung als eine echte Bedrohung gewesen.
Dennoch kam es, wie es kommen musste: Einer der jungen Männer, ein feister Blonder
mit kiloweise falschem Goldschmuck, pfiff ihr hinterher. Ãtzend, dachte
Solveigh, lieà sich aber nicht beirren. Leider wollte er offensichtlich nicht
aufgeben, denn er schwang sich von seiner Mauer und lief ihr nach, seine Jungs
im Schlepptau. Sie haben halt nichts Besseres zu tun, und ihr war klar, dass
sie mit Ignorieren nicht weiterkommen würde. Also blieb sie stehen, verharrte
einen Moment und drehte sich dann langsam um. Stumm stand sie den sechs
Hänflingen gegenüber, der Rädelsführer spielte mit einem Klappmesser: auf, zu,
rückwärts wieder auf. Das Metall schlug aufeinander, eine kleine aggressive
Geste, lächerlich. Sie wartete, dass er den Anfang machte.
»Hey, SüÃe, ganz allein unterwegs? Bist wohl nicht von hier, oder?«
»Nein«, gab sie zu, »nicht von hier. Hab was zu erledigen.«
Sie musterte die jungen Männer. Die meisten eiferten ihrem Vorbild
nach und trugen Bomberjacken und üppigen Schmuck im Rapper-Stil. Ihr fiel ein
Junge auf, der sich im Hintergrund hielt, nicht älter als sechzehn, pickeliges
Gesicht, ein Augenbrauenpiercing. Seine Augen sahen wacher aus, er gehörte hier
nicht hin, ein Mitläufer, zwangsrekrutiert von seinem Umfeld für ein dämliches
Leben. Benachteiligte Jugendliche waren ihr soziales Projekt, was ob ihrer
eigenen Vergangenheit nicht verwunderlich war. Aber es zu sehen, machte sie
jedes Mal fuchsteufelswild. Wann immer sie konnte, begleitete sie einen befreundeten
Streetworker und hörte sich die Geschichten, die auf der StraÃe erzählt wurden,
ohne Vorbehalte und gute Ratschläge an. Bot stattdessen Hilfe an â von einer,
die wusste, wie es lief, die nicht dumm daherquatschte. Nicht selten lieà sie
welche bei sich übernachten. Kinder, die keine Chance erhielten, waren in ihren
Augen so ziemlich das Trostloseste, was eine Gesellschaft zulassen konnte. Und
in dieser Hinsicht war Stockholm nicht besser als Amsterdam, London oder
Frankfurt. Und leider war auch Husby keine Ausnahme. Trotzdem ging es immer
darum, die wahren Opfer zu identifizieren, den Treibern gefiel ihre Rolle zu
gut â und sie kamen weit seltener unter die Räder, als man landläufig
vermutete.
»Mit dir könntâ ich mir auch vorstellen, was zu erledigen«,
proklamierte der aggressive Anführer und schaute Beifall heischend in die
Runde.
»Das, mein lieber junger Freund, kann ich mir denken. Aber der
Ausgang dieser Episode dürfte dir nicht gefallen.« Langsam machte sie dieser
Depp wütend. Bestimmt hatte auch er eine Freundin, die ihm in einer dunklen
Ecke einen blasen musste, wie sie damals Fredo hinter der Kietz-Tanke. Pah.
»Was fürn Ding?«, fragte er. »Jetzt schwätz hier mal nicht son
dummes Zeug. Hast du was zu rauchen dabei?«
»Ich geb dir gleich Rauchzeichen, mein Bester. Und jetzt schiebt ab,
bevor ein Unglück passiert«, sagte Solveigh, drehte sich um und schritt bewusst
langsam von dannen.
Leider beherzigte er ihren Ratschlag nicht und stellte ihr nach. Im
Vorbeigehen, er spielte mit der rechten Hand immer noch mit dem Klappmesser,
packte er ihr an den Hintern und murmelte: »Schon noch ganz knackig für so eine
alte Schachtel.«
In dieser Sekunde bist du zu weit gegangen, dachte Solveigh, packte
seinen Arm und wirbelte ihn herum. Mit einem gekonnten Griff schleuderte sie
ihn rücklings auf den Asphalt. In der Drehung kickte sie ihm das Messer aus
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