Operation Cyborg
packte nur noch fester zu. Er hob ihn höher, drückte ihn schließlich über die steinerne Brüstung der Brücke und warf den hilflos strampelnden Angetrunkenen mühelos, mit dem Rücken voran, in die dunkle Tiefe. Einem kurzen Schrei folgte ein häßlicher, dumpfer Schlag. Mit mörderischer Wucht, den Kopf voran, war der Körper auf die Ladeluke eins Lastschiffes geprallt, das gerade unter der Brücke durchfuhr. Keine 2 Meter vom Steuerhaus entfernt, aus dem ein zu Tode erschrockener Kapitän hervorlugte, lag der zerschmetterte Leib von Simon Stiegler.
*
Die zweite Übernachtung in der Pension gestaltete sich für Tom keineswegs komfortabler als die erste, was hauptsächlich daran lag, daß das Bett noch genauso ungemütlich war wie in der Nacht zuvor. Die leichten Zweifel an der Integrität des Cyborgs, die sich in Toms Gedanken geschlichen hatten, taten ihr übriges. Immer wieder grübelte er darüber, was verhinderte, daß sein Geist die nötige Ruhe fand. Und gelang es ihm doch mal einzuschlafen, ließen ihn schlimme Träume immer wieder hochschrecken. Statt sich zu erholen, verbrachte er äußerst zehrende Stunden.
Auch wenn er sich tagsüber noch so sehr darum bemühte, lockere Sprüche zu klopfen – nachts forderten die Ereignisse der vergangenen Tage seiner Seele ihren Tribut ab. Er träumte von Magnus, wie er verbrannt und verstümmelt vor ihm stand und ihn vorwurfsvoll anstarrte. Er sah im Traum den toten Körper von Fred auf dem Boden seiner Wohnung liegen. Er träumte von Nina, wie ihr ein Cyborg mit freiliegenden stählernen Händen das Genick brach. Er träumte von Jazz, wie sie ihn freundlich anlächelte und sich ihr Lächeln langsam zu einem Grinsen verfremdete – zu einem bösen, diabolischen Grinsen. Und dann, irgendwann, war die Nacht endlich vorbei und ließ einen geistig erschöpften und körperlich verspannten Tom Sanders im zerwühlten Unterbett zurück.
»Wir benötigen Geld«, hörte er Jazz' Stimme. »Du sagtest, daß du uns welches besorgen kannst.«
Tom öffnete die Augen und sah, daß Jazz direkt neben ihm am Bett stand und ihn anblickte. Erschrocken fuhr er hoch.
»Was?«, fragte er verwirrt.
»Das Geld«, wiederholte Jazz. »Wie kommen wir an das Geld von dem du gesprochen hast?«
»Verdammt Jazz. Wie kannst du mich so aus dem Schlaf reißen?«, fragte Tom empört. In Wahrheit aber war er nicht wegen ihr verärgert, sondern darüber, daß er so schreckhaft reagierte. Sein letzter Traum spukte noch in seinem Kopf wie ein Echo.
»Ich habe registriert, daß du nicht mehr geschlafen hast«, sagt Jazz.
»Und wenn schon«, entgegnete Tom trotzig und ließ sich wieder auf das Bett sinken. »Was stehst du hier so nah vor dem Bett noch bevor ich die Augen auf habe. Da muß man sich doch zu Tode erschrecken.«
»Ich habe dich nicht berührt«, sagte Jazz und trat vom Bett zurück. »So wie du gesagt hast.«
»Ja, ja schon gut. Gib mir noch eine Minute. Ja? Danke!«, erwiderte Tom und schloß wieder die Augen. Er versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn er seine Paranoia weiter pflegte, würde er keine weitere Woche mit dem Cyborg aushalten. War sein Mißtrauen überhaupt gerechtfertigt? Und wenn nicht, war er dann soeben nicht äußerst ätzend und abweisend gewesen? Wenn er bedachte, wie Nina ihn manchmal geweckt hatte, war Jazz' unbeholfene Art geradezu ein sanfter Gutenmorgenkuß gewesen. Brrrr, was für ein Gedanke, wenn man sich das mal bildlich vorstellte, dachte Tom.
Schließlich stand er auf und ging duschen. Er sah immer noch reichlich ramponiert aus. Die Kratzer und sein Veilchen verheilten entschieden zu langsam für seinen Geschmack. Zumindest im Vergleich mit den Verletzungen des Cyborgs. Nach dem Duschen fühlte sich Tom einigermaßen erfrischt. Er holte Frühstück vom Buffet und setzte sich damit an den kleinen Tisch in ihrem Zimmer. Jazz beobachtete ihn die ganze Zeit über aufmerksam. Sie wirkte ungeduldig.
»Schön. Schauen wir mal, was sich auf dem Konto getan hat«, sagte Tom, während er aß und gleichzeitig sein neues Laptop hochfuhr, das er gestern Abend noch mühsam für seine Bedürfnisse installiert und konfiguriert hatte. Er loggte sich auf dem Sparkassenkonto ein.
»Prima. Die Kohle ist da. Wie versprochen«, sagte er zufrieden. »Du kannst jetzt los und das Geld holen. Ich habe dir hier eine Vollmacht geschrieben.«
Tom reichte Jazz ein zusammengefaltetes Schreiben, das er ebenfalls gestern mit dem neuen Drucker angefertigt hatte. Sie las
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