Operation Genesis (Ein Delta-Team-Thriller) (German Edition)
Beinen zu bleiben. Als sie endlich sicher war, dass sie nicht über den Rand der Klippe stürzen würde, versuchte sie ihre Sinne in den Griff zu bekommen.
Sie atmete. Sie lauschte. Sie fühlte … weniger.
Sara machte große Augen.
Geruch war Geruch und Geräusch war Geräusch. Sie spürte nichts außer der Hand auf ihrer Schulter und dem Boden unter ihren Füßen. Sie erlebte die Welt jetzt in fünf unterschiedlichen Kategorien, nicht als ewiges Durcheinander.
»Was ist los?«, fragte Weston, eher interessiert als besorgt.
»Ich habe eine neurologische Störung. Ich fühle und sehe Geräusche, manchmal auch Gerüche.«
»Und jetzt?«
»Nichts.«
Weston lachte leise. »Erstaunlich, nicht wahr?«
Sara riss die Augen auf und musterte die antiken Bauwerke. »Es sind die Kristalle.«
»Allerdings.« Weston richtete sich hoch auf, stolz wie ein Kind, das seinen Freunden sein neues Fahrrad vorführt. »Bevor ich in die Annamiten kam, war ich eine Art postmoderner Hippie. Ich trug immer Kristalle. Quarz. Ich bin nicht sicher, ob ich jemals wirklich daran geglaubt habe, dass die Steine etwas bewirken. Ich fand sie einfach hübsch.«
Er atmete tief ein, hielt kurz die Luft an und stieß sie dann mit einem Lächeln wieder aus. »Im Buddhismus gilt Quarz als einer der ›sieben Schätze‹. Die amerikanischen Ureinwohner nannten ihn ›die Gehirnzellen von Großmutter Erde‹. In den altindischen Veden wird er verehrt als ›Edelstein, der die Furcht nimmt‹. In ihrer ganzen Geschichte hat die Menschheit – fälschlicherweise – normalen Quarzkristallen besondere Kräfte zugeschrieben. Ich schätze, dass dieser Glaube von den Kristallen vom Mount Meru inspiriert wurde. Der Unterschied ist, dass diese hier wirklich funktionieren.«
Sara spekulierte unwillkürlich weiter. »Vielleicht sind es die Schwingungen.«
»Wie bitte?«
Sara dachte laut nach. »Alle Materie existiert in drei Aggregatzuständen. Gasförmig, flüssig und fest. Die Atome in einem Gas sind frei beweglich. In einer Flüssigkeit sind sie dichter – zusammengepresst –, aber immer noch beweglich. Doch in einem Festkörper sind die Atome komprimiert – liegen so dicht aneinander, dass sie sich nicht bewegen können. In den meisten Substanzen, Stein beispielsweise, ist die Anordnung zufällig und beliebig. InKristallen wie Quarz dagegen sind die Atome … organisiert. In Strukturen und Gittern. Es ist, als wären sie in kleinen Kästchen eingesperrt, an deren engen Wänden sie einfach abprallen. Wenn Trillionen von Atomen alle demselben, mikroskopischen, einheitlichen Muster folgen, strahlen sie unmerkliche, aber kraftvolle Vibrationen aus.
Ich bezweifle, dass sie Krankheiten oder Verletzungen heilen können, aber der menschliche Verstand ist ein Netzwerk von Neuronen. Elektrische Impulse verlaufen in bestimmten Bahnen kreuz und quer durchs Gehirn. Die Ordnung ist nicht perfekt. Menschen stottern. Sie vergessen. Das Gehirn kann denken, aber es kann sich nicht organisieren. Impulse kommen sich gegenseitig in die Quere. Gehen verloren. Verbindungen brechen zusammen. Wie der Verstand wirklich funktioniert, ist immer noch ein Rätsel. Wir wissen jedoch, dass er ziemlich chaotisch sein kann. Vielleicht richten diese Kristalle die neuronalen Pfade aneinander aus?«
»Als würde man Boston ein rechtwinkliges Straßennetz verpassen.«
»Genau.« Sara sah Weston an und bereute sofort, dass sie sich hatte mitreißen lassen. Der Mann war ihr Feind. Sie warf einen Blick auf den Seuchenmonitor. Immer noch orange. Trotz ihrer zunehmenden Selbstverachtung hatte sie noch eine Frage. »Sind sie aus Quarz?«
»Zum Teil schon, da bin ich sicher«, erwiderte Weston, »aber wenn man daran leckt, schmecken sie salzig.«
»Das ist der Grund, warum die Luft so frisch ist. Sie ionisieren sie.«
Weston nickte und holte noch einmal tief Atem. »Belebend.«
Sara war sich da nicht so sicher. Es kam ihr vor, als hätten die Kristalle ihre Art, die Welt wahrzunehmen, neudefiniert, so dass sie plötzlich wie jeder normale Mensch empfand. Während die Sinne, mit denen sie geboren worden war, sich immer weiter zurückzogen, wurde ihr plötzlich schlecht. Sie hatte die Welt nie wie ein normaler Mensch erlebt. Schon der einseitige Verlust des Hörvermögens führte bei vielen Menschen zu Desorientierung und Schwindelgefühlen. Manchmal zu Übelkeit. Doch das hier war wesentlich schlimmer. Zum ersten Mal im Leben begriff sie, dass ihre durcheinandergeratenen Sinne,
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