Operation Genesis (Ein Delta-Team-Thriller) (German Edition)
die sie schlecht schlafen und oft wie benommen wirken ließen, die dafür sorgten, dass sie sich über Kleinigkeiten aufregte, die andere gar nicht bemerkten, kein Fluch waren. Sie machten ihre Persönlichkeit aus.
Ihr ureigenstes Wesen.
Und wie ein Mensch, der plötzlich keinen Espresso mehr trinkt, sondern entkoffeinierten Kaffee, konnte sie schlecht damit umgehen. Der Raum drehte sich vor ihren Augen, ruckte hin und her wie der Wagen einer Schreibmaschine unter den Fingern eines besessenen Schriftstellers. Sie kämpfte gegen den Drang an, sich zu übergeben. Weston durfte ihre Schwäche nicht bemerken.
Sie holte tief Atem. Wenigstens war die Luft kühl, sauber und mit Sauerstoff angereichert. Mit jedem Atemzug wurde sie ruhiger. Als ihr Verstand wieder funktionierte, erinnerte sie sich daran, dass sie immer Ablenkung gebraucht hatte, um ihre durcheinandergewürfelten Sinneswahrnehmungen zu ertragen. Mit derselben Methode würde sie auch eine Welt ignorieren, die sie durch normale Sinne erfuhr.
Sie öffnete die Augen und blickte über den Rand der Klippe. Ein Fluss schlängelte sich durch die Außenbezirke der Stadt. Er strömte durch einen Tunnel in der Felswand auf der anderen Seite herein, über den sich perfektaneinandergefügte Steine wölbten. Der Fluss zog sich fast um die ganze Stadt herum, bevor er durch einen zweiten Tunnel, identisch mit dem ersten, wieder abfloss. Er wirkte wie ein Burggraben, eine schnell fließende Mauer aus Wasser. Überhaupt ähnelte die Stadt einer Festung, und Sara fragte sich unwillkürlich, auf welche Art die Neandertalerzivilisation wohl erloschen war.
Konkurrenz, dachte sie. Sie waren ausgehungert worden, als die Menschen die Umgebung besiedelten und die Ressourcen aufbrauchten. Ständig in Furcht vor der Vernichtung, mussten die Neandertaler sich eingeigelt haben, bis ihre Bevölkerung zurückging und nur noch wenige übrigblieben. Und dann … und dann hatten entweder Hyperevolution oder genetische Assimilation binnen weniger kurzer Generationen zu etwas völlig Neuem geführt. Zu etwas, das in der Lage war, ganze Dörfer auszulöschen.
Ein Superraubtier.
Als Weston auftauchte und seine menschlichen Gene und Fähigkeiten mit einbrachte, war die kleine Gruppe der Superraubtiere in eine Phase der Plastizität eingetreten. Die Bevölkerung explodierte. Und würde weiter wachsen, bis ein Konflikt mit der Außenwelt die Neandertaler wieder an den Rand der Ausrottung trieb. Allerdings werden sie auf unserem Planeten bald freie Bahn haben, dachte Sara.
Ein Aufflackern von regenbogenfarbenem Licht zog ihren Blick auf das Zentrum der Stadt, wo auf einer Hügelkuppe ein großer Tempel stand. Fünf Türme in der Form von gezackten Speerspitzen erhoben sich daraus. Das Design kam Sara bekannt vor. Sie hatte es irgendwo schon einmal gesehen. Auf einer Postkarte von ihrer Zimmergenossin auf dem College, die … wohin gleich wieder gereist war? »Angkor Wat.«
»Sehr gut beobachtet«, bestätigte Weston.
Sie sah ihn an und überlegte einen Moment lang, ob sie ihn vielleicht von der Klippe hinabstoßen konnte. Dann fiel ihr Blick auf die Waffe, die in seiner Armbeuge lag, aber immer noch auf sie gerichtet war. Er schien ihre Gedanken gelesen zu haben.
»Vielleicht haben Sie schon einmal gehört«, fragte Weston, »dass Angkor Wat symbolisch Mount Meru darstellen sollte, den Sitz der hinduistischen Gottheiten? Das stimmt nicht. Die meisten Leute glauben, dass die spitzen Türme Berge symbolisieren, dabei ist Angkor Wat nur ein primitives Faksimile des ursprünglichen Tempels, der hier entstand. Die ersten Menschen, die so weit nach Asien vordrangen, wurden versklavt. Doch einigen gelang es zu entlaufen, und sie brachten wiederum der Menschheit Nachricht von diesem Ort. Eine neue Religion war geboren. Dies ist der legendäre Mount Meru. Von Hindus und Buddhisten gleichermaßen verehrt. Die Achse aller realen und mythologischen Universen. Surya, der Sonnengott, soll Mount Meru täglich einmal umrunden.
Weston gestikulierte in Richtung der runden Löcher in der Bergwand, die das Sonnenlicht einließen. »Und wie Sie sehen, wandert die Sonne tatsächlich jeden Tag um den ganzen Berg. Er ist die Heimat lange vergessener Götter, die beinahe ausgerottet worden wären.«
»Götter können ausgerottet werden?«, meinte Sara, selbst überrascht von dem Sarkasmus in ihrer Stimme. Das Letzte, was sie wollte, war, Weston in Rage zu bringen.
Aber er blieb ungerührt und grinste lediglich.
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