Operation Ocean Emerald
Meilen.
Hagen nahm einen kleinen gelben Notizzettel zur Hand und nickte dem dritten Steuermann zu, dessen Wache nun zu Ende war.
Auf den Zettel schrieb Hagen:
»Nehmen Sie die Signallampe und teilen Sie dem Schiff hinter uns unser Ziel mit. Kein Funk!«
Er schob den Zettel vor den dritten Steuermann hin und nickte erneut. Der Mann sah Hagen an und nickte zurück.
»Gute Nacht, Herr Kapitän«, sagte der dritte Steuermann und stand auf.
Fünf Minuten später wurden vom Hinterdeck derOcean Emerald, von einer geschützten Stelle neben dem Schornstein aus, Lichtzeichen mit der Signallampe gegeben.
28
»Langsamer!«, fuhr Rosita Aaro an, der sich abrupt an der Wand des Kabinengangs abstützen musste.
Die Ocean Emerald wurde vom Sturm hin und her geworfen und jedes Kippen erinnerte Aaro an das Schicksal der Estonia. Diese war aufgrund menschlichen Versagens gesunken, aber die Terroristen wollten mit Versagern und Irrtümern nichts zu tun haben – sie würden die Ocean Emerald versenken, wann
sie
es wollten.
»Gehen wir auch bestimmt in die richtige Richtung?«, flüsterte Aaro.
»Frag nicht so viel«, zischte Rosita. »Folge mir einfach.«
Rositas Befehlston gefiel Aaro gar nicht. Er erinnerte ihn allzu sehr an Thomsons Stil. Alle schienen Aaro bloß für einen halbwüchsigen Burschen zu halten. Jetzt hatte er allerdings keine Zeit, sich über solche Dinge aufzuregen, schließlich hing sein Leben gerade am seidenen Faden. Falls einer der Entführer überraschend um die Ecke käme, würde er dieses Risikospiel hier sofort im Keim ersticken. Aaro wunderte sich selbst, dass er den Vorschlag gemacht hatte.
Rosita blieb stehen, drehte sich um und sah Aaro in die Augen. »Hinter der Ecke dort.«
Aaro richtete sich auf und griff intuitiv in seine Hosentasche. Die Schlüsselkarte war noch da. »Warte hier, bis ich zurück bin.«
»Weißt du auch sicher, was du tust?«, fragte Rosita besorgt.
»Logisch«, log Aaro. »Vertrau mir.«
»Vielleicht sollte ich doch mitkommen.«
»Ohne dass hier jemand aufpasst?«, flüsterte Aaro spöttisch. »Du weißt doch, wie das Funkgerät funktioniert, falls jemand kommt?«
Rosita nahm das Funkgerät aus der Tasche und schaute es einen Moment an. »Natürlich.«
»Gut. Ich gehe jetzt.«
»Du bist ein ganz schön mutiger Kerl.«
Aaro errötete vor Freude und huschte um die Ecke. Der Gang war leer. Er ging zu Delacroix’ Kabine, blickte sich mit pochendem Herzen um und klopfte an. Niemand öffnete.
Er schob die Schlüsselkarte ins Schloss. Man hörte ein gedämpftes Knacken, dann leuchtete ein kleines Licht auf. Aaro trat ein, wohl wissend, dass er keine Ausrede parat hätte, wenn er jetzt erwischt würde.
»Das Tagebuch?«, fragte Emilio ungläubig und starrte Delacroix an.
»Hol es aus meiner Kabine«, sagte Delacroix. »Ich brauche es jetzt.«
Emilio verließ die Kommandobrücke und Delacroix versank tief in Gedanken. Der Kapitän war in seine Kabinegegangen, um sich auszuruhen; auf der Brücke hielten sich der zweite Steuermann und ein paar andere Offiziere auf. Delacroix spürte, wie sie ihn verachteten, auch wenn sie das nicht mit Worten zum Ausdruck brachten.
Er ließ sich davon nicht stören, denn die Männer um ihn herum waren allesamt Banausen, die vom wirklichen Charakter seiner Arbeit keine Ahnung hatten. Jeder hirnlose Muskelprotz konnte seine Ziele mit roher Gewalt durchsetzen, aber durch Intelligenz und Kreativität wurde das, was Delacroix tat, zu Kunst. Manchmal kam er sich vor wie ein Theaterregisseur oder wie ein Dirigent, dessen Handbewegungen das Drama in Gang setzten oder die Sinfonie ihrem Höhepunkt entgegentrieben.
Mit kleinen Gaunern, die nichts von der philosophischen Seite der Kriminalität verstanden, wollte er nichts zu tun haben. Kriminelles Handeln war nichts anderes als bis ins Extreme getriebene Unabhängigkeit, die Befreiung von allen Regeln.
Nun blieb das perfekte Verbrechen jedoch zwangsläufig immer ein Geheimnis und das war so, als könnte ein Maler sein Meisterwerk nicht dem Publikum preisgeben. Darum führte Delacroix Tagebuch. Er hatte nicht die Absicht, seine Meisterwerke zu Lebzeiten zu enthüllen, aber nach seinem Tod würden seine Aufzeichnungen veröffentlicht werden und ihm das verdiente Ansehen garantieren.
Delacroix lächelte in sich hinein. Emilio würde sicherlich versuchen, einen Blick auf die geheimen Tagebuchseiten zu werfen, aber der Bildungsgrad des armen Kerlsreichte nicht aus, um sich die Worte zu
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