Operation Overkill
Die Russen wissen selbstverständlich über den Flug des Blackbird Bescheid. Und als sie festgestellt haben, dass ich nicht nur mit Newmans Tod befasst war, sondern mich auch bei der Fotoaufklärung herumtreibe, haben sie wahrscheinlich vermutet, ich käme ihnen auf die Schliche.« Richter trank den letz-388
ten Schluck Kaffee und stellte die Tasse ab. »Ab jetzt rate ich. Der Mordauftrag muss in den Befehlen der Moskauer Zentrale enthalten gewesen sein, weil sie versucht haben, mich umzulegen, sobald ich von JARIC weggefahren bin. Vermutlich wollten sie verhindern, dass ich irgendjemandem berichte, was ich dort erfahren habe. Dieser Versuch ist fehlgeschlagen, und die beiden Penner, die sie auf der Fahrt nach Cambridge auf mich angesetzt haben, haben sich auch nicht besser angestellt. Ich nehme an, dass sie auf weitere Gelegenheiten gewartet haben, aber bei dem Verkehr und den Menschenmassen, die in London ständig unterwegs sind, ist es nicht so einfach, einen Anschlag zu verüben. Und sie wissen nicht, wie und womit ich nach Hammersmith und wieder zurück gelange – ich bin vorsichtshalber nie zur gleichen Zeit aufgebrochen, habe ständig einen anderen Weg ge-wählt und die Verkehrsmittel gewechselt. Außerdem hat das Haus, in dem ich wohne, sechs verschiedene Ein- und Ausgänge, was sie vermutlich ebenfalls verwirrt hat.«
Simpson unterbrach ihn. »Aber die müssen sich doch darüber im Klaren sein – oder zumindest annehmen –, dass Sie inzwischen alles, was Sie wissen, an mich oder den SIS weitergeleitet haben. Warum al-so will man Sie nach wie vor liquidieren?«
»Aus dem ältesten Grund der Welt«, antwortete Richter. »Aus Rache. Zwei Kulturattachés – oder wie immer sie sich bezeichnet haben – sind im Sarg aus East Anglia zurückgekommen, und meiner Meinung 389
nach gehen die wahrscheinlich davon aus, dass ich daran schuld bin.«
»Na schön«, sagte Simpson nach kurzem Nachdenken. »Das klingt plausibel, aber die Frage ist damit noch nicht beantwortet. Warum lag ein Mordauftrag vor? Was ist für sie so wichtig, dass sie bereit sind, gegen alle Regeln zu verstoßen, ohne sich um die Folgen zu scheren?«
»Ich weiß es nicht genau«, erwiderte Richter. »Aber ich glaube, die haben irgendeine ganz große Sache laufen und dürfen unter keinen Umständen zulassen, dass irgendetwas davon zur Regierung durchdringt.«
»Ich halte nichts von diesem Mist – einem geheimen Angriff –, den die CIA verbreitet«, sagte Simpson.
»Um was für eine große Sache könnte es sich also handeln?«
»Ich weiß es nicht, aber ich glaube, ich kann es herausfinden.«
»Wie?«
»Ich habe vor, ein paar Takte mit Orlow zu reden«, sagte Richter.
Simpson starrte ihn nur an. »Das ist natürlich ein Scherz.«
»Ich habe noch nie etwas so ernst gemeint. Ich habe es satt, herumzusitzen und nach Belieben auf mich schießen zu lassen. Außerdem habe ich Brian Jacksons Blut an den Händen. Dafür muss jemand büßen, und meiner Meinung nach kommt Orlow dafür am allere-hesten in Frage.«
Simpson stand auf. »Herrgott noch mal, Mann, 390
denken Sie an die Folgen! Wenn Sie sich Orlow schnappen – und ich nehme an, das meinen Sie damit
– und den Russen klar wird, dass er verschwunden ist, werden sie ein gewaltiges Geschrei anstimmen.
Und bedenken Sie, was erst los ist, wenn er zurückkehrt. Denken Sie an das Nachspiel.«
Richter lehnte sich zurück und blickte zu ihm auf.
»Sie haben mich missverstanden, Simpson. Orlow wird nicht zurückkehren. Wenn ich ihn kriege, war’s das.«
Oval Office, Weißes Haus, Pennsylvania Avenue
Nr. 1600, Washington, D.C.
Karasin, dessen Gesicht im Licht der Schreibtischlam-pe fahl schimmerte, saß einen Moment lang schweigend da. »Wieso erwarten Sie, dass ich Ihnen das er-klären kann, Mr. President’«, fragte er.
»Weil wir eindeutige Hinweise erhalten haben – ich bedauere, dass ich Ihnen die Quelle nicht nennen kann, Mr. Ambassador –, denen zufolge von Seiten Ihres Landes ein unmittelbar bevorstehender Angriff auf unsere Nation geplant ist.«
Karasin wurde bleich. »Was?«, rief er und sprang auf, als habe er sämtliche protokollarischen Gepflogenheiten vergessen. »Was? Was meinen Sie damit?
Ein Angriff?«
»Ich kann Ihnen nichts Näheres mitteilen, Mr. Ambassador«, erwiderte der Präsident ruhig und bedeu-391
tete Karasin, dass er wieder Platz nehmen sollte. »Aber wir verfügen über die entsprechenden Hinweise.«
Der Russe schaute den Präsidenten
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