Operation Overkill
sorgfältig die Straße auf und ab, zog sich dann hoch und ließ sich auf der anderen Seite ins Gras fallen. Er nahm den Rucksack ab, holte Glasschneider, Taschenlampe und Klebeband heraus und verstaute sie in den Taschen seiner Lederjacke. Dann zog er den Reißver-schluss auf, damit er leichter an den Smith & Wesson gelangen konnte, streifte die Gummihandschuhe über und zog los.
Richter hielt sich am Rand des Grundstücks, im Schatten der Hecke, ließ das Haus nicht aus den Augen und achtete auf jede Bewegung, jedes Geräusch.
Im Erdgeschoss brannte ein Flurlicht, dessen Schein durch die beiden schmalen, hohen Fenster zu beiden Seiten der Haustür fiel. Im Flur oben brannte ebenfalls Licht, aber die Schlafzimmerfenster waren dunkel.
Richter ging dreimal rund um das Haus und überzeugte sich davon, dass alles ruhig war.
Es war ein solider Ziegelbau, so jedenfalls hätte es vermutlich ein Immobilienmakler bezeichnet, und hinter den vergitterten Fenstern im Erdgeschoss hätte sich sogar Richter halbwegs sicher gefühlt, wenn er der Besitzer gewesen wäre. Momentan aber waren sie 395
bestenfalls ein Ärgernis. Im ersten Stock sah die Sache vielversprechender aus – keine Gitter, soweit er das erkennen konnte, und ein Balkon, unmittelbar über einem Erkerfenster auf der Rückseite.
Richter überlegte kurz, wie er am besten einsteigen könnte, und entschied sich schließlich für den Balkon, vorausgesetzt, er gelangte irgendwie auf den Erker.
Weinranken oder Efeu waren nicht vorhanden – was Richter auch gewundert hätte –, deshalb suchte er hinter der Garage und dem Schuppen auf der Rückseite das Hauses nach einer Leiter oder etwas Ähnlichem.
Eine Leiter fand er nicht, aber ein welliges, rund dreieinhalb Meter langes Gerüstbrett, das vermutlich nach irgendwelchen Bauarbeiten kurzerhand weggeworfen worden war. Richter musterte es genau. Es war zwar verzogen, aber allem Anschein nach stabil. Er schleppte es zum Haus, legte das eine Ende auf den Erker und rammte das andere in das Blumenbeet neben der Wand.
Dann kletterte er hinauf. Die Planke hatte einigermaßen fest ausgesehen, aber jetzt, als sie belastet wurde, schwankte sie so sehr, dass er froh über die Mauer zu seiner Linken war. Er konnte nur hoffen, dass ihm auf dem Rückweg die Tür offen stand.
Oben angekommen, spähte er vorsichtig durch das Fenster und leuchtete kurz mit der Taschenlampe hinein. An der einen Wand stand ein Doppelbett, an dessen Fußende ordentlich zusammengefaltete Decken lagen. Außerdem konnte Richter einen Kleiderschrank, drei Sessel und eine Kommode erkennen –
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allem Anschein nach ein Gästezimmer, das derzeit nicht benutzt wurde. Das Fenster war doppelt verglast und außerdem verriegelt, aber damit hatte er gerechnet.
Richter holte das Klebeband heraus, riss ein rund dreißig Zentimeter langes Stück ab, legte es in der Mitte zusammen, maß die halbe Länge ab, sodass er eine Art Griff hatte, und klebte die beiden unteren Streifen auf die Scheibe. Dann nahm er den Glasschneider und zog damit rund um das Klebeband einen Kreis, der so groß war, dass er mit Hand und Unterarm hindurchgreifen konnte. Er zog den Glasschneider ein zweites Mal durch die Rille, dann steckte er ihn wieder ein. Richter hielt das überstehende Klebeband mit der linken Hand fest und schlug einmal mit der rechten an das ausgeschnittene Stück Glas. Ein leises Knirschen, dann kippte es nach innen.
Vorsichtig zog er es nach draußen und legte es auf den Erker.
Bei der inneren Scheibe ging er genauso vor. Anschließend griff er mit dem rechten Arm hinein und tastete rundum. Keine Drähte, soweit er das feststellen konnte. Behutsam löste er den Riegel und zog das Fenster langsam auf.
Keine Alarmanlage, keine blinkenden Lichter. Richter stieg in das Zimmer. Er zog das Fenster hinter sich zu und verriegelte es wieder, damit es der Wind nicht zuknallte. Richter suchte das Zimmer sorgfältig ab, fand aber nicht das Geringste.
Er ging zur Tür und lauschte etwa eine Minute 397
lang. Nirgendwo war ein Laut zu hören. Richter drehte den Knauf und zog die Tür auf. Er spähte durch den Spalt, sah den Treppenabsatz, das brennende Flurlicht, die geschlossenen Türen. Alles war toten-still.
Richter wusste, dass Orlows Personal aus nur drei Personen bestand – ein Chauffeur und ein Leibwächter, die ihn auf Schritt und Tritt begleiteten, dazu eine Köchin und Haushälterin, die nicht hier wohnte und der zwei Zugehfrauen bei der Hausarbeit halfen.
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