Operation Overkill
haben einfach scharf nachgedacht«, erwiderte Richter. »Ihr Land hat nur selten überirdische Atomwaffentests durchgeführt.
Und dazu waren immer lange Vorarbeiten nötig. Wir konnten in diesem Gebiet keinerlei Vorbereitungen erkennen. Nein, alles deutete darauf hin, dass da draußen in der Tundra ein Vertuschungsmanöver stattfand. Und um sämtliche Spuren so schnell wie möglich zu beseitigen, hat man eine Atombombe ge-zündet. Das ist die einzig logische Erklärung.«
Orlow nickte bedächtig. »Sehr gut, Richter, sehr gut. Ihre Schlussfolgerungen sind exzellent, auch wenn Sie von völlig falschen Voraussetzungen ausgehen. Aber Sie haben beinahe Recht. Diesen Trost dürfen Sie mit ins Grab nehmen. Ich will damit sagen, dass es sich nicht um eine Radarstation handelte. Es war etwas weitaus Nützlicheres.« Orlow war vorsichtig. Er gab nichts preis, auch wenn er wusste, dass Richter in ein paar Minuten niemandem mehr irgendetwas erzählen konnte. Der Russe blickte über Richter hinweg. »Juri, er gehört dir«, sagte er.
Richter drehte sich um. Juri lächelte ihn an. Richter wusste genau, warum er lächelte. Er wandte sich wieder an Orlow. »Ich habe Ihnen alles erzählt, was Sie wissen wollten. Warum erschießen Sie mich nicht einfach, wenn Sie mich schon umbringen wollen?«
Orlow schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, Richter«, 421
sagte er mit einem Tonfall, der alles andere als bedauernd klang. »Ich habe Sie Juri versprochen, und er freut sich schon darauf, seit Sie bei JARIC gewesen sind. Und außerdem«, fügte er hinzu, »wollen wir hier doch keine Schießerei veranstalten, nicht wahr? Das schadet dem Ruf dieser Gegend.«
Richter versuchte es noch mal. Er beugte sich so weit vor, wie es seine gefesselten Arme zuließen. »Orlow, bitte. Hat er mir nicht schon genug angetan?«
Orlows Lächeln wurde höhnischer, verächtlich.
»Unser Gespräch ist hiermit beendet. Juri, schaff ihn weg. Sieh zu, dass du unten keine allzu große Schweinerei anrichtest.«
Ein Todesurteil, das nach Richters Ansicht allerhand zu wünschen übrig ließ.
Moskau
Dimitri Truschenko blickte sich ein letztes Mal in seiner Wohnung um. Er hatte einen leichten Koffer gepackt, der neben der Tür stand und genügend Kleidung und Toilettenartikel für die nächsten zwei, drei Wochen enthielt. Er überprüfte ein letztes Mal seine Aktentasche. Er hatte seinen Laptop mit dem eingebauten Modem, das mobile Telefon samt Er-satzakku und Ladegerät sowie die streng geheimen Unterlagen zu Operation Podstawa dabei. Er wusste, dass man ihn auf der Stelle festnehmen könnte, wenn man diese Papiere bei ihm fand, verließ sich 422
aber darauf, dass man ihn, einen Minister, nicht be-helligen würde.
Er hinterließ auf dem Esstisch eine kurze Nachricht für seinen Dienstboten, in der er ihm mitteilte, dass er etwa eine Woche lang bei Freunden in St. Petersburg weilen wollte und ihm telefonisch Bescheid sagen werde, wann er zurückkäme. Die gleiche Nachricht hatte er auf dem Schreibtisch seines Sekretärs im Ministerium hinterlegt – allerdings hatte er ihm auch ei-ne Telefonnummer angegeben, unter der er in St. Petersburg zu erreichen sei. Ein völlig normaler Vorgang, denn in den letzten sieben Monaten war er regelmäßig dorthin gefahren.
Jemand klopfte kurz an der Tür. Truschenko öffnete und reichte seinem Chauffeur den Koffer, nahm dann die Aktentasche, schloss seine Wohnung ab und folgte ihm zum Aufzug.
Im frühmorgendlichen Verkehr brauchten sie nur ein paar Minuten bis zum Bahnhof, sodass Truschenko noch reichlich Zeit bis zur Abfahrt des Schnellzuges nach St. Petersburg hatte. Der Chauffeur holte seinen Koffer aus dem Kofferraum der Limousine und begleitete Truschenko in den Bahnhof. Truschenko reichte dem Bahnbeamten seinen Fahrschein – sein Sekretär hatte ihn besorgt –, worauf dieser das oberste Blatt abriss und ihm das Ticket zurückgab. Er nahm seinem Chauffeur den Koffer ab, ging auf den Bahnsteig und stieg in den Zug, ohne noch einmal zurück-zublicken.
423
Orpington, Kent
Juri und der andere Schläger banden Richters Arme los, worauf er vornüber zu Boden sackte. Er konnte nur hoffen, dass er alle davon überzeugt hatte, dass er keinerlei Widerstand mehr leisten konnte. Vielleicht, aber nur vielleicht, wurden sie dadurch ein bisschen unvorsichtiger.
Sie zerrten ihn hoch, und Juri drehte ihm den Arm auf den Rücken. Der zweite Mann wollte ihm helfen, aber Juri winkte ihn unwirsch weg. »Der gehört mir«, brummte
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