Operation Overkill
doch, es wäre eine Waffe mit geringer Sprengkraft gewesen.«
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»Das nehmen wir auch an«, erwiderte Baratow.
»Aber Sie müssen bedenken, Genosse Präsident, dass die Bombe, die die Amerikaner auf Hiroshima abgeworfen haben, eine Sprengkraft von nur zwanzig Kilotonnen hatte. Und die hat über hunderttausend Menschen getötet.«
»Und die Amerikaner werden zweifellos wissen wollen, warum eine russische Atomwaffe in einer amerikanischen Stadt explodiert ist. Und auch ich möchte, dass diese Frage beantwortet wird. Ich nehme an, es besteht nicht die Möglichkeit, dass es sich um einen Terroranschlag handelte, der gar nichts mit dieser idiotischen Operation Podstawa zu tun hatte?«
Baratow schüttelte den Kopf. »Ich habe bereits mit General Sokolow gesprochen. Er hat bestätigt, dass Abilene eines der Ziele war, die Truschenko ausge-sucht hatte. Allerdings weiß er weder etwas über die Sprengkraft noch über den Standort der Waffe. Aber ich glaube nicht an Zufälle. Diese Waffe war einer der Sprengkörper, die im Zuge von Operation Podstawa in Stellung gebracht wurden.«
»Was natürlich eine weitere Frage aufwirft«, knurrte der Präsident. »Modin und Bykow wurden in der Botschaft in London unter Arrest gestellt. Sokolow sitzt in einer Zelle in der Lubjanka, und Truschenko ist tot. Wer also hat sie gezündet?«
Wieder breitete Baratow die Arme aus. »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte er.
»Nun ja, eines steht fest«, sagte der Präsident und 882
stand auf »Ich muss mit den Amerikanern sprechen.
Auf der Stelle.«
Vic-Fézensac, Midi-Pyrénées, Frankreich
»Da ist eine Telefonzelle – halt an«, rief Richter, worauf Decker den Espace an den Straßenrand steuerte.
In den letzten acht Minuten hatte Richter ständig sein Handy überprüft, aber die Signalstärke lag weiterhin bei null. In Vic-Fézensac sah er die erste öffentliche Telefonzelle, seit sie St. Médard verlassen hatten. Er sprang aus dem Espace, rannte zu der Zelle, nahm den Hörer ab und steckte ein paar Euro-Münzen in den Schlitz. Baker meldete sich beim zweiten Klingelton.
»Richter hier. Es geht um den Araber, der sich ›Prophet‹ nannte. Mir ist eingefallen, dass er das gleiche Wort auch als Backdoor-Code benutzt haben könnte, aber in einer anderen Sprache. Sein Benutzername, oder wie Sie das bezeichnen, war jiddisch, nicht auf Farsi oder Paschtu, wie man es bei einem Araber erwarten würde. Vielleicht hatte er alle möglichen Sprachen durchforstet und ausgefallene Worte in Dialek-ten verwendet, die nur eine Hand voll Menschen sprechen. Seiner Aussage nach zu schließen, handelt es sich bei dem Begriff ›Prophet‹ um eine Art Scherz.
Möglicherweise fand er ihn so komisch, dass er ihn zweimal benutzt hat. Falls Sie wissen, was ich meine.«
»Ja, kann schon sein«, erwiderte Baker skeptisch.
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»Ich habe bereits versucht, unter ›Dernowi‹ in das System einzudringen, aber es hat nicht geklappt. Ich werde das Wort ›Prophet‹ durch das Vokabelprogramm laufen lassen. Mal sehen, was dabei rauskommt. Ich rufe Sie an.«
»Gut«, erwiderte Richter. »Kümmern Sie sich sofort darum. Der Araber sagte, dass noch jemand anders den Backdoor-Code für den Großrechner in Krutaja kennt. Und ich glaube nicht, dass er uns verarschen wollte. Ach, und irgendjemand soll Lacomte anrufen und ihn darum bitten, so schnell wie möglich die Mobilfunkantennen hier unten wieder einzuschalten.«
»Gut. Ist das alles?«
»Nein. Ist Simpson da? Ich muss ihm kurz mitteilen, was wir von dem Araber erfahren haben. Ein paar seiner Aussagen dürften ihn bestimmt interessieren, und die Amerikaner werden mit Sicherheit begeistert sein.«
Buraydah, Saudi-Arabien
Sadoun Khamil saß noch immer vor dem Fernsehapparat, doch er lächelte nicht mehr, sondern war eher verwirrt. Auf dem Bildschirm waren jetzt Aufnahmen von den Ruinen von Abilene zu sehen, die vom Hubschrauber eines Kamerateams aus mehreren Meilen Entfernung gefilmt worden waren, vermutlich wegen der Strahlungsgefahr. Doch das war nicht der Grund, weshalb er verwirrt war. Er hatte vielmehr damit ge-884
rechnet, dass in den Nachrichten von weiteren Explosionen berichtet werden würde, die sich in den ganzen Vereinigten Staaten ereignet hatten. Aber allmählich sah es so aus, als wäre lediglich die Waffe in Abilene detoniert.
Er beschloss, noch eine weitere Stunde abzuwarten, aber danach musste er sich mit der Führung von al-Qaida in Verbindung setzen. Zunächst jedoch begab er sich
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