Operation Overkill
haben?«
»Ich meine, warum die sich überhaupt jemanden geschnappt haben.«
Simpson strich sich mit seiner gepflegten rosigen Hand über die blonden Haare. »Die gleiche Frage ha-be ich auch dem Direktor der Abteilung Aufklärung gestellt.«
»Und wie, bitte, lautete die Lagebeurteilung des Direktors?«
»Er stand vor einem Rätsel«, sagte Simpson. »Allem Anschein nach gibt es keinerlei Grund dafür, weshalb die Russen Newman und nicht irgendeinen anderen SIS-Mann in Moskau aufgegriffen haben, wenn man einmal davon absieht, dass er der Stationsleiter war. Er hatte in letzter Zeit keinerlei Zugang zu irgendwelchen Akten, die für die Russen von Interesse sein könnten, und soweit wir wissen, war er nicht mit irgendeinem Geheimprojekt befasst. Was heißen soll, dass er von London mit nichts dergleichen beauftragt worden war.
Im Augenblick ist es in Moskau ziemlich ruhig, von den Umtrieben der Mafia einmal abgesehen.«
»Sie haben also keine Ahnung?«
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»Das habe ich nicht gesagt«, blaffte Simpson. »Wir kamen zu der Schlussfolgerung, dass es sich um eine Vorsichtsmaßnahme gehandelt haben könnte. Das KGB hat ab und zu ausländische Agenten aufgegriffen und ausgequetscht, um festzustellen, ob sie irgendetwas Interessantes wussten – alltäglich war das allerdings nicht, und meistens kehrte der Betroffene hinterher unbeschadet zurück. Möglicherweise herrschen beim SWR etwas rauere Sitten.«
»Und das ist alles? ›Mach’s gut, Newman. War schön, dich zu kennen.‹«
»Es wird natürlich eine Trauerfeier geben.«
»Newman wäre bestimmt begeistert, wenn er wüss-te, dass man hier in England einen unbekannten Russen mit allen Ehren beerdigt, während er irgendwo in Russland verfault. Ich habe eigentlich gemeint, was für Gegenmaßnahmen man ergreifen will.«
»Gegenmaßnahmen? Keine. Was Vauxhall Cross angeht, handelt es sich bei dem Toten in der Botschaft um Newman, und unter diesem Namen wird er hier auch offiziell bestattet werden. Die Russen können von Newman nichts Wichtiges erfahren haben, weil er nichts wusste. Da der SIS in keinster Weise kompro-mittiert wurde, unternehmen wir auch nichts.«
»Das wird ein großer Trost für Newmans Geist sein«, erwiderte Richter und ging hinaus.
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CIA-Zentrale, Langley, Virginia
Büro des Direktors für Einsatzplanung (Geheimdienste)
Die Vorzimmertür stand offen, und als Richard Muldoon, der den Trupp anführte, den mit Teppichboden ausgelegten Flur entlangging, konnte er Jayne Taylor sehen, die persönliche Assistentin des Direktors – die ganz persönliche Assistentin, wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, die im Speisesaal für die leitenden Mitarbeiter umgingen. Sie war am Telefon und blätterte in einem großen, in Leder gebundenen Notizkalender.
»Ja«, murmelte sie, als Muldoon an der Tür stehen blieb. »Sieht so aus, als ob der Direktor frühestens Freitag nächster Woche für Sie Zeit hat. Wenn Sie allerdings nicht länger als höchstens eine Viertelstunde brauchen, könnte ich Sie vielleicht vorher einschieben.«
Sie blickte auf, als Muldoon anklopfte, nickte und musterte einen Moment lang die anderen beiden Männer, die hinter ihm hereinkamen und vor dem Fenster stehen blieben. Muldoon war groß und schlaksig und hatte eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit James Jesus Angleton, dem berühmtberüchtigten Agentenjäger der CIA. Aber heute wirkte er ungewöhnlich ernst. Jayne wandte sich ab und widmete sich wieder ihrem Telefongespräch. »Hören Sie, Mike, ich habe gerade ein paar Besucher hier. Lassen Sie es sich durch den Kopf gehen und rufen Sie zurück. Danke.«
Sie legte den Hörer auf und wandte sich an Muldoon, 143
den Leiter der Abteilung Wissenschaft und Technologie
– bei der CIA zuständig für Satellitenaufklärung und nachrichtendienstliche Auswertungstechnik.
Jayne war unbestreitbar eine Augenweide, wie Muldoon nicht zum ersten Mal feststellte. Dunkle, modisch kurz geschnittene Haare, große, braune Augen und ein herrlicher Mund – sie sah fast wie eine Elfe aus und besaß zudem einen messerscharfen Verstand.
Während die meisten anderen Sekretärinnen, Assistenten oder sonstigen Bürokräfte bei der CIA für gewöhnlich eine High School in Maryland, West Virginia oder Pennsylvania besucht hatten, konnte Jayne Taylor einen BA vom Vassar College in Poughkeepsie, New York, vorweisen. Viele waren der Meinung, dass die CIA für sie nur ein Sprungbrett war – dass sie insgeheim etwas ganz anderes
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