Operation Romanow
über die Familie.«
Die Nonne zuckte mit den Schultern. »Was gibt es da zu sagen? Der Zar ist ein gebrochener Mann, und seine Frau ist verängstigt und wird allmählich verrückt. Sie stehen alle unter enormer Anspannung. Stellen Sie sich vor, wie qualvoll es sein muss, zu wissen, dass ihre Kinder jeden Augenblick ermordet werden können!«
»Wie geht es den Kindern?«
»Gesundheitlich einigermaßen. Ab und zu ordnet ihr Arzt an, dass sie sich das Haar kurz schneiden müssen, um die Kopfläuse zu bekämpfen. Sie müssen auch den Spott und die Beleidigungen der Wachen ertragen. Und der junge Alexej ist immer krank. Sie leben alle mit der Angst vor einer Hinrichtung.«
»Und Anastasia?«
»Den Umständen entsprechend.« Die Nonne runzelte die Stirn. »Warum fragen Sie?«
Ehe Sorg antworten konnte, hörten sie in der Ferne, dass jemand laut gegen eine Tür hämmerte. Er drückte seine Zigarette aus.
Schwester Agnes bekam einen mächtigen Schreck, als irgendwo auf dem Gang Tumult ausbrach und eine Novizin hastig die Zelle betrat. »Sie müssen schnell kommen, Schwester. Die Roten stehen mit Gewehren vor der Tür. Sie haben das Kloster mit Lastwagen umstellt.«
Sorg geriet in Panik und versuchte aufzustehen. »Sie haben mich verraten …«
»Nein, niemals«, erwiderte Schwester Agnes. »Niemand hier, ich schwöre! Die Roten durchsuchen ab und zu das Kloster, um uns einzuschüchtern oder um unser medizinisches Material zu plündern.«
Sie wandte sich der jungen Novizin zu. »Bring ihn in die Leichenhalle. Dort müsste er sicher sein.« Schwester Agnes nahm die Verbände und das feuchte Tuch, rollte beides zusammen und versteckte es unter ihrer Tracht. »Können Sie laufen?«, fragte sie Sorg.
»Ich glaube schon.«
»Hier entlang.« Schwester Agnes schüttete die Wasserschüssel in einem Abfluss in der Ecke aus und stellte sie ebenso wie das Tablett in einen Vorratsschrank auf dem Gang. Als sie die beiden den Gang hinunterführte, hörten sie in der Ferne Schreie und dann das laute Poltern schwerer Stiefel.
»Die Roten sind ganz in der Nähe«, sagte sie ängstlich. »Beeilung!«
Die Novizin folgte ihnen und stützte Sorg, der Mühe hatte, Schritt zu halten.
»Sie brechen die Tür auf«, sagte Schwester Agnes beunruhigt, als sie Holz splittern hörten.
Am Ende des Ganges gelangten sie an ein verrostetes Eisentor. Schwester Agnes nahm einen Schlüssel von einem Ring an ihrem Ledergürtel und steckte ihn in das Schloss. Das Tor ging quietschend auf. Dahinter konnte Sorg einige Metallstufen erkennen, die tiefer unter die Erde führten.
Die Nonne nahm eine Petroleumlampe aus Messing von einem Nagel, eine Streichholzschachtel aus einer Mulde in der Mauer und zündete den Docht an.
Im schwachen gelben Licht der Petroleumlampe stieg Sorg die wenigen Stufen in die gespenstische Dunkelheit, die in einen dunklen Gang mündeten. Der Boden war mit Steinplatten bedeckt; die feuchten Granitwände glänzten und waren von grünen Flechten überzogen. »Wo sind wir?«
Schwester Agnes, die oben an der Treppe stehen geblieben war, schloss die Tür hinter Sorg und der Novizin. »Jetzt ist keine Zeit für Erklärungen. Folgen Sie Schwester Marija und beten Sie, dass ich die blutrünstigen Schläger aufhalten kann!«
7 61. KAPITEL
Nowo-Tichwinski-Kloster, Jekaterinburg
Sorg folgte Schwester Marija, die die Petroleumlampe in der Hand hielt, durch den Gang. Die feuchten Wände rochen modrig. »Wohin gehen wir?«
»In eine der Folterkammern, die zu der ursprünglichen mongolischen Festung gehörten.«
»Warum dahin?«
»Einige der Gänge hier haben früher als Fluchtwege gedient. Falls ich sie finde, können wir fliehen.«
»Was soll das heißen, falls?«
Die Novizin sah ihn unsicher an. »Ich war nur zwei Mal hier unten, seitdem ich dem Orden beigetreten bin. Eine der Nonnen wollte mir einen Schreck einjagen. O mein Gott …«
Sie presste eine Hand auf den Mund und wich ein Stück zurück, sodass sie in Sorgs Armen landete und beinahe die Lampe fallen ließ, als eine fette schwarze Ratte genau vor ihnen über den Boden huschte. Sie verschwand zwischen einem Haufen Steine. Schwester Maria erstarrte vor Schreck.
Sorg nahm ihr die Lampe aus der Hand. »Geben Sie mir die Lampe.«
Den Bruchteil einer Sekunde später hörten sie beide irgendwo oben den lauten Knall eines Schusses, dessen Echo durch den Gang hallte. Sorg warf einen hastigen Blick zurück. Dann ergriff er Marijas Arm und zog sie hinter sich her. »Kommen
Weitere Kostenlose Bücher