Operation Romanow
immer den Kürzeren ziehen, sobald Sie Andrew gegenüberstehen. Sagen Sie, stimmt es, dass Sie eine Schwäche für Andrews geschiedene Frau haben? Sie ist sicherlich froh über die Gesellschaft, nachdem der Scheißkerl endlich tot ist.«
Jakow verpasste Kasan einen Schlag aufs Kinn. Seine Lippe platzte auf. Er taumelte rückwärts, prallte gegen die Theke und stürzte zu Boden.
Kasan strich sich über den Mund, sah auf das Blut auf seinen Fingern und grinste. »Sie sollten Ihr Temperament zügeln, Kommissar. Wir brauchen einander mehr denn je.«
»Bilden Sie sich bloß nichts ein, Kasan!«
Der Inspektor stand auf. »Mein Gefangener ist der einzige Verschwörer, den wir in Gewahrsam haben, und darum unsere letzte Chance, die anderen zu finden.«
»Er ist nicht Ihr Gefangener, sondern der Gefangene des Staates! Und vergessen Sie nicht, wer das Kommando hier hat. Hat er geredet?«
Kasan lächelte gequält. »Bisher hat er nur geschrien. Er ist halsstarrig, aber das wird sich ändern. Ich habe ein paar Tricks auf Lager, die seine Zunge lockern werden.«
Jakow trank sein Glas aus und knallte es auf die Theke. »Wo ist er?«
»In einer Zelle im Keller.«
Markow straffte die Zügel, als der Leichenwagen auf das Amerika-Hotel zufuhr.
Im Eingangsbereich herrschte reges Treiben. Tscheka-Polizisten kamen und gingen. Einige trugen gepackte Taschen in der Hand und luden ihr Gepäck auf Handkarren und in Droschken. In der Ferne war ab und zu Artilleriefeuer zu hören. Die Tschechoslowakische Legion ist nur noch dreißig Kilometer von der Stadt entfernt.
»Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, solange noch Zeit dazu ist«, sagte Markow.
Boyle hatte die Uniform eines Rotarmisten angezogen und die dazu passende Mütze aufgesetzt. Der Waffenrock war am Hals etwas zu eng.
Andrew trug wie die Tscheka-Polizisten eine Jacke und Mütze aus Leder. In dem Holster an seinem Ledergürtel steckte ein Nagant-Revolver.
»So, noch eine Runde um den Block, damit wir uns überzeugen können, dass Schwester Agnes mit dem Krankenwagen bereitsteht, meine Herren. Dann gehen wir hinein. Und Andrew, vergessen Sie nicht: Wenn wir unseren Mann nicht herausholen können, töten wir ihn.«
105. KAPITEL
Amerika-Hotel, Jekaterinburg
Jakow folgte Kasan die Treppe hinunter. Sie gingen an den Wachen vorbei und betraten die Zelle.
Sorg war mit Gurten an einen Metalltisch gefesselt. Sein Kinn war blau und dick geschwollen, und als er den Blick hob und die Besucher sah, stand ihm die Angst ins Gesicht geschrieben.
Kasan musterte ihn verächtlich. »Ich möchte Ihnen Kommissar Jakow aus Moskau vorstellen. Ich hoffe, Sie enttäuschen uns nicht.« Kasan beugte sich zu dem Gefangenen hinunter, sodass dieser die strenge Alkoholfahne des Inspektors roch.
Sorg verlor den Mut. Angst stieg in ihm auf. Er rechnete damit, dass Kasan zum Schlag ausholte. Doch stattdessen nahm er ein kleines braunes Fläschchen aus der Tasche seines Mantels und schraubte den Verschluss ab.
»Laudanum«, erklärte er Jakow. »Ich glaube, unser Gefangener hat eine Schwäche dafür.«
Kasan grinste Sorg an. »Nicht wahr?«
Markow fuhr den Pferdewagen langsam an den Bordstein heran und schnalzte mit der Zunge. »Brr!«, rief er. »Stehen bleiben.«
Etwa hundert Meter hinter dem Hotel hielt die Droschke an. Boyle und Andrew stiegen vom Kutschbock.
»Warten Sie hier«, sagte Boyle zu Markow. »Wenn jemand fragt, sagen Sie, dass Sie Typhus-Opfer abholen. Dann wird ihr Interesse schnell nachlassen.«
Markow bekreuzigte sich. »Und wenn Sie nicht zurückkehren?«
»Leichenbestatter scheinen alle Pessimisten zu sein. Wir kommen zurück. Warten Sie hier.«
Sorg riss die Augen auf, als er das kleine braune Fläschchen sah. Seine Gier nach dem Laudanum war übermächtig.
Kasan nahm den Stopfen von der Flasche und tunkte die Pipette in die rotbraune Flüssigkeit. Als er sie wieder herauszog, hing am Ende der Pipette ein Tropfen Laudanum. Der bittere Geruch der Mixtur aus Opium und Alkohol hing in der Luft. Kasan beugte sich noch weiter vor und hielt den Tropfenzähler über Sorgs Mund.
»Sie hätten nichts gegen ein paar Tropfen einzuwenden, nicht wahr? Strecken Sie die Zunge heraus. Sie bekommen jetzt sofort einen Tropfen, und sobald Sie geredet haben, gibt’s mehr.«
Sorgs Augen traten hervor. Er presste die Lippen so fest aufeinander, dass es schmerzte. Jede Zelle seines Körpers sehnte sich nach dem Frieden, den die Droge versprach. Doch er zwang sich, dem glänzenden
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